Extra-Wünsche wie Reitunterricht, ein Fahrrad oder Kinobesuche bleiben für die Jugendlichen oft unerfüllt. Auch hier können Ehrenamtliche Freude bereiten.

Bad Oldesloe. "Ist die da etwa mit drauf auf dem Foto?" Der zwölfjährige Victor deutet fragend auf Ann-Kathrin, die sogleich patzig antwortet. Eine Zankerei unter Kindern, wie sie unter Geschwistern in jeder Familie an jedem Tag vorkommt. Aber Victor und Ann-Kathrin sind weder Geschwister noch leben sie in einer Familie. Gemeinsam mit sieben weiteren Kindern haben sie in der Ansgar-Gruppe des Kinder- und Jugendhauses St. Josef in Bad Oldesloe ein neues Zuhause gefunden. Rund 80 Kinder wohnen in zehn Gruppen in dem riesigen Klinkerbau, zehn junge Erwachsene im Alter von 16 bis 20 Jahren in betreuten Wohngruppen in separaten Häusern.

Die jungen Menschen im Heim haben in ihrem kurzen Leben oft schon viel Pech gehabt. "Das Jugendamt entscheidet: Wenn nach Meinung der Mitarbeiter eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, kommt das Kind raus aus seiner Familie", sagt die Gesamtleiterin Birgit Brauer. Einen Neuzugang kündigt das Amt vorher meist an. Nur Zuwachs der sogenannten Flex-Gruppe, eine Wohneinheit für Inobhutnahmen, zieht auch mal kurzfristig ein. "Manchmal bleibt keine Zeit, noch vernünftig zu packen. Oft werden die jungen Menschen direkt von der Schule hergebracht, um Konflikte im Elternhaus zu vermeiden", erklärt Brauer. Eine Spendenaktion nur für Kinder aus Inobhutnahmen ermöglicht, das Heimweh bei der Ankunft mit einem Empfangsgeschenk etwas aufzufangen.

Ob das hilft, über bisher Erlebtes hinwegzutrösten und das Heim als Zuhause anzunehmen? "Zumindest haben wir das Gefühl, dass sie das Geschenk dankbar annehmen. Für sie ist es sehr wichtig, dass sie etwas Eigenes haben", sagt die Psychologin Brauer. Oft seien die Kinder so vernachlässigt, dass sie nichts besäßen und ihre Kleidung durchlöchert sei. Teilweise merken die Mitarbeiter erst später, wie schlimm die Erlebnisse für manche gewesen sein müssen: "Die fangen zum Beispiel an, Essen unterm Bett zu horten, sich die unglaublichsten Verstecke auszudenken, weil sie glauben, sie bekommen nichts ab."

Gewalt, Vernachlässigung, Alkohol- und Drogenmissbrauch oder Trennungsproblematiken im Elternhaus veranlassen die Behörde, ein Kind im Kinderheim unterzubringen. "Vielfach merken die Schulen zuerst, dass es kriselt in der Familie." Halte sich ein Kind nicht mehr an Regeln und verhalte sich auffällig, sei das ein erster Hinweis darauf, dass etwas nicht stimme. Das Kinderhaus St. Josef hilft den jungen Menschen, wieder in ein geordnetes Leben mit Disziplin und geregeltem Tagesablauf zurückzufinden. "Die Kinder sind mit dem Ziel hier, dass sie irgendwann wieder in ihre Familien gehen. Doch dafür sind beide Seiten in der Pflicht, etwas zu tun."

Leiterin Brauer steht pro Kind ein Pflegesatz zu, von dem sie alle anfallenden Posten, zum Beispiel Essen, bezahlt. Das Geld kommt vom Jugendamt. "Der Satz liegt in der Regel bei etwa 100 bis 110 Euro", sagt Wilhelm Hegermann, Leiter des Kreisjugendamtes Stormarn. Weil außerordentliche Wünsche wie ein Fahrrad, Reitunterricht oder Kinobesuche deshalb oft auf der Strecke bleiben, ist das Kinder- und Jugendhaus immer auf der Suche nach Menschen, die in irgendeiner Form helfen wollen. Die diesjährige Aktion mit dem Motto "Werden Sie Gruppen-Pate!" ist ein Aufruf, um den Kindern und Jugendlichen ein ähnliches Leben wie ihren Altersgenossen zu ermöglichen.

Eine der Förderer und Ideengeber des Projektes ist Heinke Knüppelholz. Die 75-Jährige gehört jetzt schon seit vier Jahren zum Freundeskreis. Für die Witwe ist die Unterstützung der Einrichtung eine Herzensangelegenheit: Gerade erst hat sie gehört, was in Zukunft noch gebraucht wird in der Mutter- und Kindgruppe: "Das wären ein Radio, um Kinderhörspiele anzuhören, ein Gymnastikball und ein Puppenbett", zählt sie auf.

Karin Koch ist eine der vier ehrenamtlichen Nachhilfen. Die Oldesloerin arbeitet mit der "Ansgar-Gruppe". Neun Bewohner im Alter von sieben bis 14 Jahren warten zweimal pro Woche auf ihre Unterstützung. Darüber hinaus stehen auch Ausflüge auf dem Programm der Ehrenamtlichen: "Im Sommer gehe ich zum Beispiel mit ihnen Eis essen oder baden. Einmal sind wir zusammen nach Lübeck gefahren."

Zum Geburtstag jedes Gruppenbewohners hat sie sich ein besonderes Ritual ausgedacht: "Ich backe für jedes Geburtstagskind einen Kuchen und bringe ein Geschenk. Das sind so kleine Sachen, die die Kinder ganz toll finden", sagt Karin Koch. Kleine Sachen, die jedem Geburtstagskind zustehen und die ihm zeigen: Ich werde wahrgenommen, geschätzt, geliebt.

Weil zurzeit meist nur ein Erzieher pro Gruppe im Dienst ist, mangelt es an menschlicher Zuwendung und Aufmerksamkeit für jeden Einzelnen. Mit dem "Paten-Projekt" sucht Leiterin Birgit Brauer auch Menschen, die die Jugendlichen zum Zahnarzt begleiten, sich Sorgen anhören oder nur "da" sind. Denn Heimkinder haben Kummer, empfinden Angst oder Scham, glauben anders zu sein als Schulkinder, die nicht im Heim leben. Brauer: "Oft ist es nur das eigene Gefühl, dass sie sich anders fühlen. Da sind sie schon kränkbar."