Geschäftsführerin erwartet steigende Erwerbslosenzahlen. Im Gespräch mit Matthias Popien setzt sie aber auch auf Stormarns Stärken.

Hamburger Abendblatt:

Frau Grote-Seifert, seit fast einem Jahr leiten Sie die Agentur für Arbeit in Bad Oldesloe. Zum Start haben Sie gesagt, das sei eine wunderschöne Agentur. Stimmt das immer noch?

Heike Grote-Seifert:

Doch, ich kann auch in der Nachschau sagen: Es ist ein sehr angenehmes Arbeiten. Der Agenturbezirk ist hoch interessant.

Abendblatt:

Was ist besonders interessant an dem Bezirk?

Grote-Seifert:

Zur Agentur gehören zwei Kreise, die doch relativ unterschiedlich sind. Stormarn gehört zum Hamburger Speckgürtel, der ja einen ungeheuren Aufschwung genommen hat in den letzten Jahren. Monat für Monat können wir die niedrigste Arbeitslosigkeit in Schleswig-Holstein verkünden. Und auf der anderen Seite der Kreis Herzogtum Lauenburg, der eher ländlich geprägt ist und deshalb ganz andere Herausforderungen bereit hält. Das ist natürlich spannend, zwei so unterschiedliche Kreise zu haben.

Abendblatt:

Ihr Agenturbereich ist einigermaßen verschont geblieben von der Wirtschaftskrise, jedenfalls wenn man die Arbeitslosenzahlen betrachtet. Wird das in den nächsten Monaten so weitergehen?

Grote-Seifert:

Wir müssen schon befürchten, dass die Arbeitslosigkeit auch bei uns steigt. Alles andere wäre aus meiner Sicht zu optimistisch. 2009 haben wir sehr gut überstanden - deutlich besser, als man das am Jahresanfang befürchten musste. Das liegt auch daran, dass sich die Dinge im Bankenbereich nicht so negativ entwickelt haben, wie viele Experten das vorhergesehen haben. Aber wir wissen nicht genau, ob es nicht im nächsten Jahr noch einen kleinen Dämpfer gibt. In der Regel ist es ja so, dass die Folgen von Konjunkturkrisen auf dem Arbeitsmarkt immer mit etwas Verzögerung eintreten. Wir haben natürlich auch einen hohen Prozentsatz an Kurzarbeitern. Seit September hat es wieder mehr Neuanzeigen gegeben. Aktuell haben wir 366 Betriebe in Kurzarbeit. Wir wissen nicht, ob der eine oder andere nicht doch noch zu Entlassungen greifen muss.

Abendblatt:

Also blicken sie mit Sorge auf die nächsten Monate?

Grote-Seifert:

Wir müssen von einem Anstieg ausgehen. Es gibt ja auch Frühindikatoren, die das anzeigen. Wir haben zum Beispiel eine Zunahme von Arbeitssuchenden. Aber ich will nicht Schwarzmalen.

Abendblatt:

Der Chef der Bundesagentur hat gesagt, dass man besonders bei der Automobilindustrie und den Zulieferern mit Entlassungen rechnen muss. Zulieferer gibt es auch in Stormarn, gibt es da solche Befürchtungen?

Grote-Seifert:

Diese Befürchtungen muss man teilen, wenn man liest, dass Automobilhersteller sagen, dass sie Arbeiten, die sie bislang ausgelagert haben, wieder in Eigenregie durchführen wollen.

Abendblatt:

Was sind die wirtschaftlichen Stärken des Kreises Stormarn?

Grote-Seifert:

Wir haben viele kleine und mittelständische Unternehmen, die von der Krise nicht in dem Maße betroffen sind. Das ist der entscheidende Punkt dafür, dass wir nicht zu pessimistisch in die Zukunft blicken müssen.

Abendblatt:

Wie viel Geld haben sie mittlerweile für die Kurzarbeit ausgegeben?

Grote-Seifert:

In diesem Jahr sind es elf Millionen Euro fürs Kurzarbeitergeld gewesen, dazu kommen 5,7 Millionen Sozialversicherungsbeiträge.

Abendblatt:

Hat sich intern etwas geändert in der Agentur? Haben Sie umorganisieren müssen?

Grote-Seifert:

Wir haben uns beim Arbeitgeberservice, der mir sehr am Herzen liegt, so aufgestellt, dass wir für jeden Betrieb einen festen Ansprechpartner haben. Für uns ist es wichtig, dass wir ganz dicht am Betrieb dran sind. Ich glaube, unsere Abarbeitung der Kurzarbeit hat vielen klargemacht, dass wir eine effektiv arbeitende Behörde sind. Ich kann wirklich sagen, dass ich nur positive Rückmeldungen von Unternehmern und Betriebsräten bekommen habe.

Abendblatt:

Haben Sie diesen Bereich personell verstärkt?

Grote-Seifert:

Ja, wir sind ja von Anträgen auf Kurzarbeitergeld geradezu überrannt worden. Wir haben befristet eingestellt und innerhalb des Hauses umgesetzt - das waren insgesamt 3,5 Stellen.

Abendblatt:

Kurzarbeit sorgt also für Arbeit.

Grote-Seifert:

Zu unserem Leidwesen haben wir in der Krise mehr Arbeit. Wir wünschen uns das nicht, aber das ist nun mal so.

Abendblatt:

Was haben sie noch geändert in der Agentur?

Grote-Seifert:

Wir haben im Bereich Berufsorientierung, Berufsberatung und Vermittlung in Ausbildung sehr, sehr große Anstrengungen unternommen. Wir haben da eine hohe Fachkompetenz. Das haben wir den Kunden besser vermitteln wollen. Ich nenne mal als herausragendes Beispiel unser "BIZ bei Nacht". Da sind knapp 800 Besucher in unser Berufsinformationszentrum gekommen. Von diesem großen Ansturm waren wir positiv überrascht. Es waren auch viele Eltern da, die ihren Sohn oder ihrer Tochter begleitet haben. Ich hoffe, dass der Abend dazu führt, dass bei Eltern und Kinder verankert ist: Bei uns gibt es hervorragende Möglichkeiten, sich wirklich gut zu informieren - und das dazu noch kostenlos. Wir werden diese Veranstaltung mit Sicherheit wiederholen.

Abendblatt:

Wer ist denn auf die Idee gekommen, eine solche Veranstaltung in die für eine Behörde unübliche Zeit von 17 bis 21 Uhr zu legen?

Grote-Seifert

(lacht): Jetzt lobt man sich ja nicht so gern selbst - aber den Anstoß dazu habe ich gegeben. Meine Idee war: Wie bekommen wir junge Menschen da hin? Deswegen haben wir uns ein Rahmenprogramm überlegt.

Abendblatt:

Die Agentur hat bei der Vermittlung von Jugendlichen in Lehrstellen in diesem Jahr wieder ein sehr gutes Ergebnis erzielt. Ende September waren nur 29 Bewerber unversorgt. Kann man da überhaupt noch besser werden?

Grote-Seifert:

Da ist nicht mehr viel Luft nach unten, das muss man schon sagen. Unser Ziel ist es natürlich, möglichst jeden zu versorgen. In diesem Bereich sollten wir keine Ressourcen verschwenden. Das ist Wahnsinn, wenn man junge Menschen nicht ausbildet und in Kauf nimmt, dass sie später von Sozialleistungen leben.

Abendblatt:

In der Oldesloer Geschäftsstelle der Agentur läuft seit 2007 und noch bis Ende 2010 ein Modellversuch. Dort ist ein Arbeitsvermittler für nur 70 Arbeitslose zuständig. Üblicherweise ist das Verhältnis eins zu 135.

Grote-Seifert:

Das ist gerade frisch verlängert worden - bis 2012.

Abendblatt:

Wie ist die vorläufige Bilanz dieses Experiments?

Grote-Seifert:

Es gibt einmal im Jahr einen Austausch mit der Zentrale. Es sind ja 14 Modellagenturen, die diesen Versuch machen. Das Treffen war gerade. Die spannende Frage war diesmal: Ist das Modell auch in Zeiten der Wirtschaftskrise erfolgreich? Wie schnell bekommen wir die Menschen jetzt wieder in Arbeit? Wir können ganz klar sagen: Die Modellagenturen haben bessere Ergebnisse erwirtschaftet als die anderen. Man hat die Personalkosten für die zusätzlichen Vermittler den Einsparungen gegenübergestellt, die sich durch schnellere Vermittlung auf einen neuen Arbeitsplatz und durch andere Effekte ergeben. Ergebnis: In der Oldesloer Geschäftsstelle wird dadurch im Jahr gut eine Million Euro eingespart.

Abendblatt:

Sollte man das Modell mit mehr Arbeitsvermittlern also zum Standard in allen Agenturen machen?

Grote-Seifert:

Das wäre eine sehr richtige Entscheidung.

Abendblatt:

Sie haben eine lange Reihe von männlichen Vorgängern auf dem Chefsessel. Ist es schwierig, als Frau in diese Phalanx einzubrechen?

Grote-Seifert:

Nein, überhaupt nicht. Ich bin mit offenen Armen in der Agentur empfangen worden. Es gab überhaupt keine Probleme, auch nicht bei den Unternehmen oder in der Politik.

Abendblatt:

Wie geht es weiter mit der "wunderschönen Agentur"? An welchen Stellschrauben können Sie noch drehen?

Grote-Seifert:

Wir haben sehr viel in die Qualifizierung von Mitarbeitern gesteckt. Ich bin überzeugt, dass sich das auszahlen wird. Ich gehe davon aus, dass wir unsere Leistung in allen Bereichen noch steigern können. Ich wünsche mir, dass Berufsanfänger in größerer Zahl zu uns kommen. Wir haben gute Stellen. Und ich wünsche mir, dass wir bei den Arbeitgebern eine größere Rolle spielen, wenn es um die Besetzung von Stellen geht. Da wissen noch nicht alle, was wir können.