Ohne Hartz IV kommen sie nicht über die Runden. Gewerkschaft fordert Mindestlohn von 7,50 Euro.

Ahrensburg. "Weihnachten tut verdammt weh", sagt Andrea H. (Name von der Redaktion geändert). Der Gedanke an das Fest bereitet der 45-jährigen allein erziehenden Mutter von zwei Kindern seit Wochen Bauchschmerzen. Weil sie nicht weiß, wovon sie die Geschenke für ihre Kinder bezahlen soll. Andrea H. arbeitet in einer Spielhalle, für 400 Euro im Monat. Ohne die staatlichen Zuschüsse käme sie nicht über die Runden.

Arm trotz Arbeit: Für 2380 Menschen in Stormarn ist das bittere Realität. "Aufstocker" heißen sie im Jargon der Arbeitsmarktexperten, weil sie so wenig Geld verdienen, dass sie ihren Lohn mit Hartz IV aufstocken müssen. In Deutschland arbeitet fast jeder vierte Beschäftigte zu Niedriglöhnen von 5,50 Euro pro Stunde oder weniger. Es sei ein unhaltbarer Zustand, wenn Menschen trotz Vollzeitarbeit auf Geld aus dem Hartz-IV-Topf angewiesen seien, sagt Sabine-Almut Auerbach, die Gewerkschaftssekretärin des ver.di-Bezirks Südholstein. Die Gewerkschaften fordern deshalb einen Mindestlohn von 7,50 Euro pro Stunde.

Betirettin Kilic weiß, wie sich das anfühlt, wenn der Lohn nicht reicht, um Frau und Kinder zu ernähren. "Du gibst alles, und es reicht nicht", sagt der 30 Jahre alte Familienvater, der seit sieben Jahren in Stormarn lebt und in seiner türkischen Heimat in der Textilbranche tätig war.

Drei Jahre hat er bei einer Bäckerei in Stormarn gearbeitet, mit einem Zeitvertrag auf 400-Euro-Basis. Die Kündigung kam aus heiterem Himmel. "Von einen Tag auf den anderen", sagt Kilic. Er meldete sich bei einer Hamburger Zeitarbeitsfirma, die ihm einen Job als Lagergehilfe vermittelte. Sechs Euro brutto die Stunde hat er da verdient. Als er einen Jahresvertrag bekam, dachte er, nun geht es bergauf. 1200 Euro brachte er am Monatsende nach Hause. Der Vertrag wurde um ein weiteres Jahr verlängert. Doch Kilic wurde krank, musste drei Monate aussetzen. Als er wieder gesund war, war er arbeitslos.

Seine Tochter ist vier Jahre alt, der Sohn anderthalb. Deswegen ist seine Frau in Elternzeit. Sie arbeitet in einem Pflegeheim, verdient 900 Euro brutto. Die Familie wohnt in einer Drei-Zimmer-Wohnung, die Miete beträgt 600 Euro. Sie bekommen Wohngeld und Kindergeldzuschlag und müssen doch jeden Cent umdrehen.

Nach Auskunft der Arge Stormarn sind 29 Prozent der 2380 Berufstätigen in Stormarn mit Hartz-IV-Anspruch in einem Angestelltenverhältnis, drei Prozent sind Selbstständige. Die überwiegende Zahl der "Aufstocker" verdient maximal 400 Euro (das betrifft 1213 Stormarner), 517 Erwerbstätige bekommen einen Lohn zwischen 400 und 800 Euro, bei 650 lag der Verdienst über 800 Euro.

Eine Studie im Auftrag der beiden Gewerkschaften ver.di und Nahrung-Genuss-Gaststätten kommt zu dem Ergebnis, dass ein Mindestlohn in Höhe von 7,50 Euro pro Stunde, der schnell auf neun Euro steigt, die Einkommenslage von Millionen Voll- und Teilzeitbeschäftigten verbessern und sogar dauerhaft hunderttausend Arbeitsplätze schaffen würde. Dann hätte vielleicht auch Andrea H. wieder eine Perspektive und ganz sicher wieder mehr Freude bei dem Gedanken an Weihnachten.