Das Mittel TSO, hergestellt aus den Eiern des Schweinepeitschenwurms, bringt Immunsysteme ins Lot. Im Dezember startet eine Studie.

Barsbüttel. Das Immunsystem stärken - das ist in Grippezeiten besonders wichtig. Die Firma Ovamed setzt dabei auf ungewöhnliche Naturheilmittel. Im Dezember startet für ihr Mittel TSO eine Studie in Deutschland, Dänemark, Österreich, der Schweiz und der Tschechischen Republik. Das könnte der Durchbruch für die Barsbütteler sein.

Detlev Goj hat eine Nase für biologische Heilmittel. Als der Wirtschaftsingenieur noch für einen Wundauflagen-Hersteller arbeitete, stieß er auf die Madentherapie zur Wundbehandlung. Der Clou: Goldfliegenmaden ernähren sich von abgestorbenem Gewebe, reinigen so Wunden. Die Therapie ist heute anerkannt, und Goj gründete für den Vertrieb die Firma Biomonde.

Als er in Forschungsberichten von Prof. Dr. Joel Weinstock (Universität Iowa, USA) las, dass entzündliche Darmkrankheiten wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa vor allem in Industrienationen auftreten, nicht aber dort, wo die Bevölkerung Kontakt zu Parasiten hat, war das die Initialzündung. Gleichberechtigte Teilhaber sind Detlef Goj und Alexander Beese, Geschäftsführer des Barsbütteler Wundauflagen-Herstellers Beese Medical. Die Firma startete im März 2003 mit fünf Biologen. Im selben Jahr übertrug die Uni Iowa den Barsbüttelern das weltweite Patent an TSO. Trichuris Suis Ova, das sind die Eier des Schweinepeitschenwurms. Eines Parasiten, der für Menschen unschädlich ist und chronische Darmerkrankungen heilen kann. Der Patient trinkt einen Cocktail mit den Eiern des Wurms. Diese öffnen sich im Darm und geben Botenstoffe frei, die ausgleichend auf das Immunsystem wirken. "Parasiten täuschen das Immunsystems ihres Wirts, damit er sie nicht ausscheidet. Gesunde reagieren mit Durchfall, ein krankes Immunsystem kommt ins Gleichgewicht", sagt Goj.

Seit vier Jahren arbeitet er an der Zulassung von TSO. "Fast auf jedem Fachkongress für Autoimmunerkrankungen ist unser Präparat auf der Tagesordnung", sagt der Geschäftsführer stolz. TSO sei als Therapie vielleicht für alle Autoimmunerkrankungen geeignet. Nicht nur für entzündliche Darmkrankheiten wie Morbus Crohn und Colitis Ulcerosa, sondern auch für Morbus Bechterew, Multiple Sklerose, Rheumatoide Arthritis oder Lupus. TSO habe keine Nebenwirkungen. Die Würmer sterben nach zwei Wochen ab und werden verdaut. Bisher ist es jedoch nur im Rahmen klinischer Studien oder auf Einzelverordnung erhältlich.

Detlev Goj schwenkt eine größere Vorratsflasche. In der durchsichtigen Flüssigkeit bilden sich Schlieren, als würde feiner Sand vom Boden aufgewirbelt. "Das sind 40 Millionen Mikroorganismen ", sagt er. Für die klinischen Studien wird das Medikament im Barsbütteler Labor portionsweise in Schraubgläser abgefüllt. 2500 Eier sind in einem Glas. Die Produktion erfolgt unter strengsten Qualitätsrichtlinien. "Wenn ein Patient irgendwo in der Welt eines unsere Fläschchen trinkt, kann man anhand der aufgedruckten Nummer den Herstellungsprozess nachvollziehen", sagt Goj. Ein Tier liefert einmalig zwei Millionen Eier. Die Göttinger Minipigs werden in klimatisierten Ställen in Dänemark gehalten. Ihre Ausscheidungen werden aufgefangen, die Eier separiert und gereinigt. Das Partnerunternehmen Parasite Technologies (fünf Mitarbeiter der Uni Kopenhagen), schickt die Eier nach Barsbüttel. Hier werden sie bebrütet, zentrifugiert und sterilisiert abgefüllt. Wenn alles planmäßig läuft, könnte 2014 das europäische Zulassungsverfahren abgeschlossen sein. "Wir wären schon längst fertig, hätten wir das nötige Kleingeld dafür", sagt Goj. 200 bis 250 Millionen Euro koste das Zulassungsverfahren, schätzt er. Goj ist stets auf der Suche nach finanzkräftigen Partnern. Doch bisher meldeten sich nur Unternehmen, die die Firma übernehmen wollten. "Doch dafür sparen wir uns ja nicht alles vom Mund ab", sagt Goj, der seine erste Firma Biomonde für Ovamed verkaufte. Seitdem 2007 die Dr. Falk Pharma aus Freiburg als Partner mit ins Boot kam, geht es voran. Die Freiburger sind marktführend in der Behandlung von Erkrankungen des Magen-Darm-Traktes.

Im Dezember startet nun eine große Studie zu TSO und Morbus Crohn in 40 gastroenterologischen Zentren - Universitätskliniken und Arztpraxen - in Deutschland, Dänemark, Österreich, der Schweiz und der Tschechischen Republik. Die Unis Lübeck und Kiel sind mit dabei. Leiter der Studie ist Professor Jürgen Schölmerich von der Uniklinik Regensburg. Anfang 2009 startete auch die erste klinische Studie gegen Multiple Sklerose (MS) an der Universität von Wisconsin. Weitere Studien in USA beginnen im Frühjahr. Zum Beispiel zur Behandlung von aggressiven Zuständen autistischer Kinder und von Kindern mit einer Erdnussallergie. Dass das Präparat auch gegen Allergien wirkt, hat sich während Tests für entzündliche Darmerkrankungen herausgestellt. Wenn TSO erfolgreich am Markt ist, will Detlev Goj mit der Forschung zur generellen Stärkung des Immunsystems beginnen. Auch hierfür hat er schon ein Tier gefunden. "Fledermäuse können grässliche Viren übertragen, ohne selbst krank zu werden. Wir wollen herausfinden, warum das so ist."