Die Blätter fallen - der Herbst hat unaufhaltbar Einzug gehalten. Diese Jahreszeit ist mit einer merkwürdig traurigen Stimmung verbunden. Das Absterben der Blüten, das Fallen der Blätter erinnert an die eigene Vergänglichkeit.

Diese besondere Stimmung hat in unnachahmlicher Art Rainer Maria Rilke in seinem Gedicht "Herbst" eingefangen:

Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten; sie fallen mit verneinender Gebärde. Und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt. Und sieh dir andre an: es ist in allen. Und doch ist einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.

Dieses Gedicht macht den Herbst schön! Denn: Trotz der Vergänglichkeit, trotz des Fallens, das in allem ist, gibt es Hoffnung. Obwohl das Fallen ein einheitlicher Natur, Kosmos und Menschheit umspannender Vorgang ist, obwohl die Vergänglichkeit das Leben bestimmt, überwiegt für mich in diesem Gedicht nicht Niedergeschlagenheit und Resignation, sondern Zuversicht und Hoffnung. Es gibt da eine Hand, welche alles Fallen "unendlich sanft" auffängt.

Als Christ sehe ich in dieser Hand Gottes liebende, aufrichtende Hand. Gott ist die tragende Mitte, der alles zusammenhaltende Mittelpunkt des Lebens, Gott hält Natur, Kosmos, Menschheit und letztlich mich.

Der christliche Glaube leugnet nicht Leid und Tod, Einsamkeit und Vergänglichkeit. Christen sind keine himmelstürmenden Helden, keine über dem Boden der Realität schwebenden Träumer. Christen wissen vielmehr um die "gefallene Schöpfung", um die "verneinenden" Kräfte im Leben.

Selbst wer ganz tief gefallen ist, wer meint, nicht mehr zu Menschen oder zu Gott aufblicken zu können, kann sich bei Gott geborgen fühlen, kann bei Gott zur Ruhe kommen. Wer sich fallen lassen kann, fällt nicht ins Leere, sondern begegnet inmitten der eigenen Abgründe Gottes heilender und helfender Hand. Das ist das Geheimnis der christlichen Meditation, des Gebetes.

Gottes Hand hält uns unendlich sanft, auch wenn wir fallen. Selbst der Fall in das Dunkel des Todes ist kein Fall ins Bodenlose. Das Wissen um Gottes unendlich sanfte Hand bietet Trost trotz Todesgewissheit. In dem Psalm 145,14 ist uns zugesagt: "Gott, der Herr, hält alle, die da fallen."

Ralf Weisswange ist Pastor der Kirchengemeinde Hoisbüttel in Ammersbek.