Kein Nachwuchs auf der Bühne und in den vergangenen Jahren auch kaum noch Zuschauer: Vorstand sieht keine Alternative zur Vereinsauflösung nach sechs Jahrzehnten.

Bad Oldesloe. Er will sich noch ein paar Worte zurechtlegen. Etwas Lustiges. Oder einen Sketch. So wie in all den vergangenen Jahren. Seine Narrenkappe hat Gerd Metzger schon auf dem Esszimmertisch bereitgelegt. So wie in all den vergangenen Jahren. Morgen, am 11. November, ist es so weit. Am "elften Elften" beginnt für waschechte Karnevalisten die neue Session. Und Gerd Metzger ist ein waschechter Karnevalist. Zumindest ist er es viele Jahre gewesen. Morgen Abend um 20.11 Uhr werden er und die anderen Vorstandsmitglieder der Oldesloer Karnevals-Gesellschaft (OKG) die Session bei Mäcki in Rethwischfeld eröffnen - und sogleich wieder schließen.

Lange vor Aschermittwoch wird die OKG aufhören zu existieren. Silvester wird sie aus dem Vereinsregister gelöscht. "Karneval ist in Norddeutschland eben nicht das Ding der Leute", sagt Jürgen Dierks (72), siebter und letzter Präsident in der genau 60-jährigen Oldesloer Karnevalsgeschichte.

Gerd Metzger weiß, dass das in den vergangenen Jahrzehnten anders gewesen ist. Zwar gehört der 63-Jährige erst seit knapp 30 Jahren dazu. Als Schriftführer ist er aber so etwas wie das ewige Gedächtnis des Oldesloer Karnevals. Was er zu erzählen hat, füllt vier dicke Aktenordner, die neben seiner Narrenkappe auf dem Esstisch aufgestapelt sind. Oder den Bruchteil einer DVD, die er nun gebrannt hat. Eintrittskarten, Programmhefte, Hunderte von Fotos, alle Büttenreden. Gerd Metzger weiß: "Früher ist Karneval in Bad Oldesloe eine ganz große Sache gewesen." Er nennt den Namen Heinz Sahl, Sitzungspräsident von Anbeginn bis 1966. "Ein fußkranker Rheinländer, der hier gelandet ist und der sich gesagt hat: Was im Rheinland geht, das muss doch auch hier möglich sein."

Es ist möglich. Die erste Prunksitzung im Oldesloer Hof - heute ein Kino - ist ein riesengroßer Erfolg. 450 Menschen passen in den größten Saal der Stadt. Damals läuft das Ganze noch unter der Regie des Städtischen Musikkreises und der Singakademie. In einzelnen Jahren wird die Prunksitzung gar ein zweites Mal wiederholt. 1977 ziehen die Narren in die neue Stormarnhalle am Exer um. Die Besucherzahl klettert auf bis zu 1200. Die Büttenreden des Arztes Carsten "Till" Hager oder des Apothekers Otto "vom Markt" Fickel gelten bis heute als legendär.

Aber sie haben irgendwann nicht mehr das Zeug zum Straßenfeger. Das Ende kommt zunächst schleichend. 1994 zählt die OKG noch 500 Besucher, 2002 sind es 280, 2003 nur noch 200. Zur letzten Sitzung 2005 kommen 260 Menschen. "Das war noch mal ein Aufbäumen", sagt Gerd Metzger.

Vielleicht liegt der Zuschauerschwund darin begründet, dass auch auf der Bühne kein Nachwuchs steht. "Wir haben das mit allen Mühen versucht", sagt Metzger. Am Ende sind sie ein Grüppchen inzwischen älterer Herrschaften geblieben. Und das bei all der Mühe. "Wir haben im August angefangen zu proben", erinnert sich der Schriftführer. Und am Wochenende vor Rosenmontag sind sie von Donnerstag bis Sonntagnacht rund um die Uhr im Einsatz gewesen: Aufbau, Generalprobe, Halle schmücken, Sitzung, Tanz bis in den Morgen, Kinderkarneval, Abbau.

Das Wort "ehrenamtlich" ist ihm zu trocken, um diesen Einsatz zu beschreiben. "Und 'enthusiastisch' klingt vielleicht etwas hochgestochen", meint Metzger. Was am Ende für ihn gezählt hat, war der Spaß am Planen, Organisieren, Basteln, war das Miteinander in der Karnevalsfamilie. Denn einen besonders guten Draht zum Karneval an sich hat der pensionierte Ingenieur, der aus einem Kleinstädtchen im Bergischen Land stammt, nicht. "Oft ist es im Rheinland eine künstliche Fröhlichkeit, der sich die Menschenmassen hingeben." Im Norden sei die Fröhlichkeit dagegen von Herzen gekommen.

Im nur wenige Kilometer entfernten Elmenhorst ist das immer noch so. "Da steht das ganze Dorf hinter dem Fest. Aber dafür ist Bad Oldesloe zu groß", meint Metzger. Er beobachtet, dass alle ehemals großen Traditionsveranstaltungen in der Kreisstadt unter Besucherrückgang leiden.

Morgen Abend kommen auch Vertreter des Oldesloer Heimatmuseums. Sie nehmen die Chronik und den goldenen "Oldesloer Schlüssel", eine Requisite, in ihre Obhut. Dann ist der Oldesloer Karneval Geschichte.

Gerd Metzger widmet sich wieder seinem Computer. Er muss noch etwas Lustiges schreiben. Zum letzten Mal.