In unserer Serie treffen wir Stormarner auf ihrer Lieblingsbank. Der Schweizer Ökonom Thomas Straubhaar spricht über seine Wahlheimat und seine Sicht aufs Leben.

Reinbek. "Ich bin in gewissem Maße schicksalsgläubig", sagt Thomas Straubhaar. Der Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (HWWI), der in Reinbek wohnt, hat täglich mit glasklaren Analysen wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und politischer Trends zu tun. Als gefragter Experte muss er in Interviews erklären, wie Volkswirtschaft funktioniert.

Privat funktioniert Straubhaar anders. Der Schweizer glaubt an vorgegebene Bahnen im Leben. Es gebe zwar auch zufällige Ereignisse, die ihn von der Bahn abweichen ließen, sagt er. "Aber ich glaube, dass man immer wieder auf seinen Pfad zurückkommt."

Auf seinem Pfad hat es in seiner Heimat, der Schweiz, früh drei wichtige Stationen gegeben: Sport, Militär und ein Auslandsaufenthalt. Sie hätten seine Sicht auf das Leben entscheidend beeinflusst, sagt Straubhaar. Als Jugendlicher betrieb er intensiv Sport. Handball, Schwimmen, Leichtathletik. "Da lernt man, mit Niederlagen umzugehen und Rückschläge wegzustecken." Noch heute sei er froh über diese Vorbereitung auf das Leben, sagt er. "Denn das Leben ist voller Misserfolge."

Bei der Miliz hat er gelernt, Menschen zu führen. "Im Alter zwischen 20 und 30 Jahren habe ich fast 1000 Diensttage geleistet - neben Beruf und Familie." Schließlich verbrachte er als Student eineinhalb Jahre in den USA - eine nicht immer einfache Zeit. "Dort musste ich mir alles selbst erarbeiten, hatte existenzielle Sorgen. Aber ich habe gelernt, mich nicht kleinkriegen zu lassen."

Straubhaar wählt seine Worte sehr bedacht. Sein Blick fällt aufs Schloss, aber nimmt er es auch wahr? Der 52-Jährige erzählt weiter. Vor 17 Jahren hat ihn sein "Pfad" nach Reinbek geführt, wo er nun mit seiner Frau und den zwei Kindern wohnt. Genauso lange arbeitet er schon in Hamburg - zuerst als Professor für Volkswirtschaftslehre und für Internationale Wirtschaftsbeziehungen an der Universität Hamburg, dann als Präsident des Hamburgischen Weltwirtschaftsarchivs. Mittlerweile ist er Direktor des überregional anerkannten, privaten Weltwirtschaftsinstituts, das er im Jahr 2005 gegründet hat. Unter den zahlreichen Ehrungen, die Straubhaar erhalten hat, ist auch eine, die ihn als "herausragende Persönlichkeit für die Hansestadt" auszeichnet: Er ist Ehren-Alster-Schleusenwärter - und damit nun auch jemand, der andere auf den "Pfad" bringen kann.

Im Hof des Reinbeker Schlosses sitzt er oft auf einer der hölzernen Bänke. Heute in Anzug und leuchtend blauer Krawatte - die habe er extra fürs Foto mitgebracht, sagt Straubhaar mit einem Lächeln. "Im Schloss gibt es sehr schöne Gottesdienste, Konzerte und auch ein gutes Restaurant", erklärt der Mann mit den kurzen, grauen Haaren seine Wahl für diesen Treffpunkt. "Ich bin gerne hier."

Überhaupt gefällt ihm seine Wahlheimat sehr. Hier kenne man einander. "Reinbek liegt so schön im Grünen, und man ist schnell in Hamburg." Außerdem gebe es viele gute Restaurants in der Gegend. Am liebsten esse er indisch, verrät Straubhaar. Die Schweiz fehlt ihm nicht, zum Skilaufen nutzt er die Weihnachtsferien. "Ich vermisse hier gar nichts", sagt er.

In seiner knappen Freizeit geht der Professor an der Bille "rennen", wie er sagt - um sich gleich darauf zu verbessern: "laufen". Auch Tennis spielt er mit Begeisterung. Auch mit Erfolg? Jetzt muss er lachen. "Nein, leider bin ich viel zu schlecht."

Lesen ist ihm natürlich auch wichtig. Seit seiner Kindheit begeistert er sich dafür. Sachbücher über Wirtschaftsgeschichte und Biografien ständen in seinem Regal. Gerade liest er eine Biografie über den SPD-Politiker und Gewerkschafter Hans Matthöfer. An dessen Lebensgeschichte wird die Geschichte der Bundesrepublik nachgezeichnet - mit vielen Erfolgen, aber auch einigen Niederlagen.

"Natürlich gab es auch in meinem Leben Niederlagen und Fehler", sagt Straubhaar. "Aber ich hatte das Glück, dass mir immer viele Möglichkeiten offen standen." Erfolg definiert er ohnehin nach ganz eigenen Maßstäben. "Eine attraktive Funktion ist eines - aber Erfolg ist für mich, wenn ich meine selbst gesetzten Vorstellungen verwirklichen kann."

Als Realist setze er sich nur Ziele, die er für erfüllbar halte. Mit Problemen halte er sich nicht lange auf. "Dauert eine Analyse zu lange, werde ich ungeduldig", sagt Straubhaar und schiebt seine Brille zurecht. Ihn interessiert die Lösung.

Schon beim Orientierungslauf während seiner militärischen Ausbildung habe er immer sehr schnell entschieden, an welchen Posten er sich das Punktesammeln erlauben könne, ohne die vorgegebene Zeit zu überschreiten. Er zögerte nicht lange. "Ich war ein Alles-oder-Nichts-Läufer." Kam er zu spät ins Ziel, waren alle Punkte verloren. War er rechtzeitig da, hatte er oft die meisten Punkte.

Straubhaar geht auch beim Lesen gern ein gewisses Risiko ein. Früher habe er in Romanen oft nur die wörtliche Rede gelesen, sagt er, heute auch mal nur einzelne interessante Absätze: "Ich bin ein Schnell-Leser." Man könnte auch sagen: Über-Flieger.

Ihm macht das Spaß. "Ich bin ein zufriedener Mensch", sagt er. Sein Rezept: Geduld, Gelassenheit und Offenheit. Da im Leben nicht immer alles so komme, wie geplant, müsse man offen bleiben für neue Wege. "Ich hoffe, dass ich noch sehr lange jeden Tag etwas Neues lerne."