In Schleswig-Holstein und Mecklenburg gibt es etwa 4000 Großpilzsorten, davon sind aber nur rund 500 essbar.

Großhansdorf. "Wenn ich einen giftigen Pilz esse, falle ich sofort tot um. Das denken viele - stimmt aber nicht", sagt Ingo Hartung und schmunzelt. Der 53-Jährige sammelt seit 37 Jahren Pilze und ist Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Mykologie. Die Mykologie ist die Wissenschaft von Pilzen. In Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern gibt es etwa 4000 verschiedene Großpilzsorten, davon sind nur rund 500 Sorten essbar. Jährlich vergiften sich bundesweit etwa 2000 Menschen mit Pilzen. Deshalb sei es wichtig, dass der Laie nicht allein Pilze sammele, sagt Ingo Hartung, der regelmäßig Gruppen durch den Wald führt. Gerade jetzt - denn die Pilzsaison beginnt.

Wie gefährlich sind Pilze? "Es wird zwischen einer echten und einer unechten Vergiftung unterschieden. Eine unechte gibt es, wenn ein Pilz zu alt ist oder roh gegessen wird. Giftige Pilze rufen eine echte Vergiftung hervor - zum Beispiel der gelbe Knollenblätterpilz." Hartungs Gesicht wird ernster. "Etwa sechs Stunden nach dem Verzehr des gelben Knollenblätterpilzes setzen Schüttelfrost, Erbrechen, Durchfall und Schweißausbrüche ein." Danach ginge es dem Erkrankten wieder besser - aber nur kurz. "Nach drei Wochen beginnt sich die Leber zu zersetzen. Dann kann man sein Leben nur noch durch eine Lebertransplantation retten."

Dicke Regenwolken hängen über dem Beimoorwald bei Großhansdorf. Die Nadeln auf dem Waldboden federn jeden seiner Schritte. Es riecht nach Tannenzapfen. Die Haare des Pilzsammlers sind ergraut, sein Blick ist jedoch wach und flink. Wo andere nur feuchten Waldboden sehen, entdeckt Hartung die Früchte des Waldes. "Zwischen Kiefern, Tannen und Fichten wachsen Maronen." Sie sind essbar. Pilze leben in Symbiose mit Bäumen. "Der Pilz speichert Wasser, von den Bäumen erhält er Nährstoffe, gewissermaßen als Gegenleistung", sagt Hartung. Es gebe auch Schmarotzer. Einige Pilze könnten ganze Bäume töten.

Hartung geht weiter, der Waldboden verändert sich. Ein Blätterteppich breitet sich vor ihm aus, durch das Geäst der Birken dringt mehr Licht. Ausreichend Licht und Feuchtigkeit sind wichtig. "Dieses Jahr hat es etwas wenig geregnet. Deshalb sind einige Sorten noch gar nicht gewachsen." Als Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Mykologie dokumentiert Ingo Hartung auch die Pilzbestände im Beimoorwald. Eine Besonderheit in diesem Wald ist, dass es den Birkenpilz in drei verschiedenen Farbvarianten gibt. "Das ist deutschlandweit sehr selten", sagt er und schneidet einen schwarzen ab.

Es gibt auch geschützte Pilzsorten. Zu ihnen zählt der Violette Scheidling. Obwohl er so selten ist, findet der Pilzsammler an diesem Tag ein paar von ihnen. "Der steht auf der Roten Liste, das bedeutet: stehen lassen." Langsam füllt sich der Korb des Sammlers. Die Pilze, die unter Gräsern und Blättern noch braun und eintönig aussehen, werden zu einer bunten Mischung. Auch ein Schwefelporling ist dabei. Seinen Namen hat er von seinem Geruch. "Gebraten schmeckt er aber lecker. Einfach in Scheiben schneiden und wie ein Schnitzel in die Pfanne legen", sagt Hartung.

Pilze sind vom Nährgehalt mit Gemüse zu vergleichen. "Ein Pilz besteht aus etwa 89 Prozent Wasser. Ein Kilo Waldpilze entsprechen 100 Gramm Fleisch." Ein Pilz wird nur sechs Tage alt, danach fängt er an, sich zu zersetzen. Champignons aus dem Supermarkt halten bis zu zwei Wochen. Weil sie mit gentechnisch veränderten Sporen gezüchtet würden, meint Ingo Hartung.

Für den Mykologen ist es ein Glück, dass die meisten Pilze giftig sind. Wenn alle essbar wären, gäbe es keine mehr, sagt er. Plötzlich bleibt der Mann in der blauen Regenjacke stehen. Wenige Meter vor ihm kreuzen eine Ricke und ein Bock seinen Weg - durchaus Hartungs Konkurrenten bei der Pilzsuche. Sie bleiben stehen, schauen ihn mit wachsamen Augen an und trotten dann gemächlich weiter.