Neuer Vorstandschef Uwe Bakosch glaubt nicht, dass sich der Markt schnell erholt. Er setzt aufs Passagiergeschäft. Zusätzliche Angebote und Routen sollen helfen, die Fähren besser auszulasten.

Großhansdorf. Für die erste Fahrt in sein neues Büro hat Uwe Bakosch die Fähre genommen. 27 Stunden auf der Ostsee, einen Tag und eine taghelle Sommernacht unterwegs von Travemünde nach Helsinki. Der Großhansdorfer hat jede Minute davon genutzt, um das Schiff zu erkunden. "Ich habe es bis in den letzten Winkel untersucht", sagt er. Uwe Bakosch (51) ist seit Anfang Juli Vorstandsvorsitzender der Reederei Finnlines. Ein Herr über 33 Schiffe und der Chef von 2400 Mitarbeitern.

Solche Fährfahrten ins Büro sind für den Topmanager allerdings die ganz große Ausnahme. Alltags nimmt er den Flieger und bleibt über Nacht in Helsinki. Oder er steigt in Großhansdorf in seinen Audi. Dann dauert die Fahrt nur 25 Minuten und endet in Lübeck. Dort, in der Deutschlandzentrale am Rande des Hafengebietes, hat sich Uwe Bakosch ein zweites Büro einrichten lassen. Dort hat ihn die Stormarn-Ausgabe des Abendblattes zu einem ersten Gespräch getroffen.

"Ich arbeite etwa die Hälfte der Woche in Helsinki, die andere Hälfte von Lübeck aus", sagt Bakosch. Der Großhansdorfer genießt diese Tage, an denen er schnell im Büro und abends ebenso schnell wieder zu Hause bei seiner Familie ist. Tage, von denen es in der Vergangenheit nicht allzu viele gegeben hat. Ausbildung zum Schifffahrtskaufmann in Hamburg, Arbeit und paralleles Seerechts-Abendstudium in Südafrika, Logistikexperte bei Volkswagen, Geschäftsführer der norwegischen Reederei UECC in Brüssel und später Marketing- und Verkaufschef in der Osloer UECC-Zentrale, Finanzvorstand der Reederei Scandlines in Rostock und zuletzt Geschäftsführer der Bahntochter ATG Autotransport Logistic in Eschborn: Das sind nur einige Stationen im Berufsleben Bakoschs, die ihm in drei Jahrzehnten 19 Umzüge abgefordert haben. Seit Ende der 90er-Jahre lebt die Familie Bakosch in Großhansdorf. "Etabliert", nennt Bakosch das, "in Großhansdorf bleiben wir jetzt auch." Umgeben von Natur, mit Frau Kerstin (50), den Söhnen Niklas (21) und Lukas (19), Hund, Katze und eigenen Hühnern, findet Bakosch Ruhe.

Es ist der Gegenpol zum Job, in dem das zurzeit alles andere als ruhige Klima auf See im Mittelpunkt steht. Die Wirtschaftskrise hat vor den Reedereien nicht Halt gemacht. Der Umsatz bei Finnlines ist im ersten Halbjahr 2009 im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um gut ein Drittel auf 241,8 Millionen Euro eingebrochen, das Unternehmen schreibt rote Zahlen, wenngleich im zweiten Quartal 2009 wieder ein operativer Gewinn erzielt worden ist.

Bakosch will die Reederei wieder auf Gewinnkurs bringen. Von allein werde das nicht geschehen, meint er und sagt, ganz entgegen seiner optimistischen Ausstrahlung: "Der Markt wird sich nicht schnell erholen." Also müsse das Unternehmen auf diese Situation eingestellt werden.

Plötzlich liegt etwas Schwärmerisches in seinen Augen. In Gedanken mag er wieder draußen auf dem Meer sein, auf einem seiner Schiffe. So wie an jenem Tag, als er damit ins Büro gefahren ist. "Das sind modernste Schiffe der Star-Klasse. 25 Knoten schnell, das sind 46 Kilometer pro Stunde. Die haben Restaurants mit Seeblick, Saunen und Whirlpools mit Seeblick, riesige Sonnedecks." Doch gibt es noch zu wenige Passagiere, die diese Annehmlichkeiten zu schätzen wissen.

Die Lastwagenfahrer sind es jedenfalls nicht. Sie bilden die mit Abstand größte Gruppe unter den jährlich gut 600 000 "Pax", wie die zahlenden Gäste in der Reedersprache heißen. Andere Ostsee-Reedereien befördern jährlich an die 20 Millionen Passagiere."Finnlines war mal in erster Linie ein Passagierdienst", sagt Bakosch, "dann wurde daraus ein frachtdominiertes Unternehmen. Ich werde viel Mühe daran setzen, den Passagieranteil wieder stark nach oben zu führen." Neue Routen gehören dazu. Die Anfang Juni eröffnete Verbindung von Travemünde über das polnische Gdyna nach Helsinki ist ein erster Schritt. Ein weiteres Ziel sei geplant, "aber da laufen die Verhandlungen noch", sagt Bakosch. Seit einigen Wochen nimmt Finnlines ins schwedische Malmö auch Passagiere mit, die ohne Fahrzeug reisen.

Bakosch möchte nicht den Begriff Mini-Kreuzfahrt bemühen. Im Kern geht es ihm aber genau darum: die Schifffahrt an sich zu einem Erlebnis werden zu lassen. Als eine Zielgruppe hat er Menschen mit viel Zeit ins Auge gefasst. Ruheständler beispielsweise. "Die haben doch keine Lust, eingepfercht in ein Flugzeug zu ihrem Städtetrip zu reisen", sagt er. Bakosch spricht von Candle-Light-Dinner und Wellness-Angeboten an Bord. Von einer sommerlichen Fahrt bei ewigem Tageslicht über spiegelglattes Wasser. Oder von einer winterlichen Tour: "Stellen Sie sich vor, Sie fahren durch die kristallklare Nacht, am Bug bricht krachend das Eis - und irgendwann liegen die Schären von Helsinki vor Ihnen."

Helsinki ist das Stichwort, jene 550 000-Einwohner-Stadt, die Städtereisenden nicht als erste Option in den Sinn kommt. Zu Unrecht, wie Uwe Bakosch meint. Er hat die finnische Hauptstadt in den vergangenen Wochen in sein Herz geschlossen. "Helsinki hat einen unglaublichen Charme, eine tolle Baukultur und ganz viel Wasser. Und es ist die Stadt in Skandinavien, in der man es sich leisten kann, abends ins Restaurant zu gehen." Der Großhansdorfer hat sich eine Wohnung in der Stadt genommen. "Einfach und sauber", sagt Bakosch. Statussymbole sind sein Ding nicht.

"Ich bin kein Manager mit Zigarre und dickem Auto", sagt er, "das ist auch ein Signal an die Mitarbeiter: Nun lasst uns alle mal am Boden bleiben." Zu diesem Stil gehört auch, dass er einen offenen Dialog mit seiner Mannschaft führt. "Ich meine, was ich sage, und ich sage, was ich meine." Wenn es Neuigkeiten gibt, holt er alle zusammen. "Dann bekommt man die Stimmung im Unternehmen mit. Ich gucke mir die Firma bis in die kleinste Verästelung an." Genau so, wie er sich das Schiff angesehen hat bei seiner ersten Fahrt ins Büro.