Als junges Mädchen kam sie 2002 aus Kurdistan nach Deutschland. Allein. Es war ein mutiger Schritt. “Aber zu Hause gab es keine Perspektive“, sagt Medike Bastürk-Akca und streicht sich die Haare aus dem erhitzten Gesicht.

Ahrensburg. Neben ihr sitzen Frauen aus Kenia, der Türkei und aus Pakistan. Auch sie haben rote Wangen. Nicht so sehr, weil es heiß ist, sondern weil sie Angst hatten. Angst, vom Rad zu fallen. Angst, sich zu verletzen. Angst, sich lächerlich zu machen.

Diese Angst hat die Frauen geeint und auf dem Gelände des Ahrensburger Spielzeugaufbereitungszentrums (SPAZ) zusammengeführt. Keine der Migrantinnen konnte Fahrrad fahren.

Jetzt liegen zwei Übungsnachmittage hinter ihnen. "Das Schwierigste war, die Balance zu halten. Aber es hat Spaß gemacht", sagt Melanie Gamenik aus Kenia und steckt mit ihrem Lachen die anderen an. Ihre Kinder Nicole (8) und Kevin (6) gucken sie dagegen ernst an. Fahrrad fahren? Wo ist das Problem, scheinen sie zu fragen.

Auch für Tino Sdunek war es eine besondere Situation. "Es war richtig klasse. Alle haben Fortschritte gemacht", sagt der Polizei-Verkehrslehrer, der sich sonst darum kümmert, dass Erstklässler sicher über die Straßen kommen. Jetzt half er den Frauen, im Sattel zu bleiben. Einige Räder hatte der Polizist mitgebracht, andere stammten aus dem Bargteheider Fundbüro und waren in der SPAZ-Werkstatt aufgearbeitet worden.

Die Idee für das Projekt hatten die Bargteheider Gleichstellungsbeauftragte Irene Schumann und Ulla Tesdorpf von der Migrationsberatungsstelle Kompass. Eine Spendenübergabe an die Ahrensburger Einrichtung hatte das Projekt ins Rollen gebracht. Schumann: "Wir haben erfahren, dass viele Migrantinnen nicht Fahrrad fahren können." Ein Handicap bei der Job-Suche.

24 Migrantinnen wurden angeschrieben. 16 wollten kommen. Acht kamen tatsächlich. "Vielleicht gab es Schwierigkeiten in der Familie", vermutet Tino Sdunek. Die Türkin Aysel Dogan durfte nicht nur teilnehmen, sie sollte sogar. "Jetzt können wir bald gemeinsame Ausflüge machen. Ein Rad hab' ich schon", sagt ihr Mann Bayram, der gekommen ist, um seine Aysel abzuholen. "Wir sind frei erzogen. Fahrrad fahren war bei uns kein Teufelswerk", sagt sie. In streng religiösen türkischen Familien sehe das anders aus. "Ich habe sechs Geschwister. Wir hatten einfach kein Geld für ein Fahrrad." Das ist kein Problem mehr. Für ein paar Euro können die Migrantinnen die Räder kaufen.

Die Kurdin Medike hat erneut Mut bewiesen und ist das erste Mal auf ein Fahrrad gestiegen. Sie hat die Balance gehalten. Ein symbolischer Erfolg? Medike: "Mein Mann hat nur noch sechs Monate Aufenthaltserlaubnis. Zu Hause hatte ich keine Perspektive. Aber hier habe ich auch keine Zukunft." Die kleine Angst ist besiegt, die große Angst ist geblieben.