Leben in der Gastfamilie, Sprachschule und eine Rundreise: In Erinnerung bleiben vor allem die freundlichen und hilfsbereiten Menschen.

Ahrensburg. Nach drei Tagen fast ohne Schlaf und mehr als 24 Flugstunden sind meine Nerven strapaziert. Mein Koffer ist irgendwo auf der langen Reise von Hamburg nach Sydney verloren gegangen. Meinen Anschlussflug nach Brisbane an der Ostküste habe ich verpasst. Der nächste Flug geht erst morgen früh. Auf dem Flughafen kann ich nicht bleiben, weil der nachts geschlossen wird. Ich weiß nicht, ob meine Reiseversicherung ein Hotel bezahlen würde. Viel schlimmer hätten meine sieben Monate in Australien nicht beginnen können.

Als ich meine Gastfamilie von meiner Verspätung benachrichtigen will, tönt mir "Kein Anschluss unter dieser Nummer" entgegen. Ich stehe ohne Gepäck, Unterkunft und Kontaktnummer auf dem Flughafen in einer fremden Stadt - und könnte heulen.

Da tippt mir jemand auf die Schulter. Es ist die Angestellte, die ich kurz zuvor nach einem Aufenthaltsraum gefragt habe. "Ich dachte gerade, dass ich dich ja zu mir nach Hause nehmen könnte, weil ich jetzt Feierabend habe und morgen Frühdienst", sagt sie und lächelt freundlich, "ich könnte dich also auch wieder rechtzeitig herbringen." Ich überlege noch, dass ich die Frau doch überhaupt nicht kenne. Aber in diesem Moment bin ich so dankbar für das großzügige Angebot, dass ich sofort Ja sage. Michelle, so heißt die Australierin, fährt mit mir in einen Vorort von Sidney. Unterwegs holen wir noch ihren Sohn von einer Party ab, und sie ruft ihren Mann an, damit er das Zimmer der Tochter für mich herrichtet. Die gesamte Familie begrüßt mich freudig. Sofort wird mir Essen und Trinken angeboten.

Michelles Ehemann sucht mir die richtige Vorwahl heraus, damit ich meine Gastfamilie anrufen kann. Ich bin sprachlos und schlage in meinem Wörterbuch erst einmal das Wort für Gastfreundschaft nach, um mich richtig bedanken zu können. Am nächsten Morgen, auf dem Weg zum Flughafen, lädt mich Michelle ein, sie wieder zu besuchen, wenn ich nach Sydney zurückkomme.

Ich bin tief beeindruckt von der Hilfsbereitschaft und Offenheit.

Eigenschaften, die ich in den nächsten Monaten noch bei vielen anderen "Aussies" erleben sollte. Nach meinem Abitur wollte ich unbedingt "Down Under" kennenlernen. Mein Schulalltag sollte nicht direkt in den Uni-Alltag übergehen.

Australien - das steht für Freiheit und Abenteuer. Außerdem natürlich für Kängurus und Koalas, tolles Wetter und große rote Felsen. Im Internet fand ich eine Organisation, die das sogenannte "Demi-Pair-Programm" anbot. Demi-Pair bedeutet in etwa "Halb-Au-pair". Das Programm umfasst den Besuch einer Sprachschule in Brisbane sowie die kostenlose Unterkunft und Verpflegung in einer Gastfamilie. Dafür müssen die Demi-Pairs ihre Gastfamilie als Babysitter unterstützen. Diese Kombination schien mir ideal, um sowohl mein Englisch zu verbessern als auch den "Australian Way of Life" kennenzulernen.

Und immer wieder diese unglaubliche Hilfsbereitschaft. In Brisbane suche ich mit vier Freundinnen von der Sprachschule einen Outlet-Store. Als wir einen Mann nach dem Weg fragen, bietet er uns auf der Stelle an, uns hinzufahren. Ähnliches passiert einer Freundin, die mich bei meiner Gastfamilie besuchen will und eine Station zu früh aus der U-Bahn aussteigt. Sie fragt eine Australierin nach der Adresse, und die Frau fährt meine Freundin gleich persönlich zu mir. "Give a lift" nennen das die Australier, wenn sie jemanden mitnehmen. Und es scheint für viele selbstverständlich zu sein, dies wildfremden Menschen anzubieten.

Kurz nach Neujahr ist mein Demi-Pair-Programm beendet, und ich verlasse Brisbane, um mich auf eine viermonatige Rundreise durch den Kontinent zu begeben. Mein erstes Ziel ist Alice Springs, eine Stadt mitten im Herzen des Roten Kontinents und Anlaufpunkt für alle, die den Ayers Rock, auch bekannt unter dem Namen Uluru, sehen wollen. Ich habe mich in einem Hostel, also einer Art Jugendherberge, eingemietet. Gleich am ersten Tag treffe ich Leute aus Belgien, Italien und Südkorea. Alle sind sogenannte "Backpacker", die mit riesigen Rucksäcken für längere Zeit durch das ganze Land reisen. "Backpacker" gibt es in Australien zu Tausenden. Einige von ihnen finanzieren sich das Reisen durch "Work and Travel", dass heißt, sie suchen sich an ihren Aufenthaltsorten Jobs, wie zum Beispiel als Kellner, Küchen- oder Erntehelfer.

Diese Art des Reisens und natürlich Australien als Ziel selbst sind in den vergangenen Jahren so beliebt geworden, dass eine richtige "Backpacker-Kultur" entstanden ist. Es gibt spezielle "Backpacker"-Hotels, Clubs und -Pubs und auch typische Getränke wie den Billigwein "Goon", der in Plastiktüten verkauft wird. In jeder Kleinstadt gibt es mehrere Hostels, in denen die Rucksackreisenden äußerst günstig wohnen können. Dem niedrigen Preis entsprechend darf man allerdings auch nicht zu viel erwarten. Das gilt auch für die Hygienestandards. Nicht selten kommt es vor, dass man mit acht bis zwölf Leuten in einem Zimmer schläft. Badezimmer und Küche werden von allen gemeinsam genutzt. Für die, die das alles nicht abschreckt, ist "Backpacking" ein Riesenspaß, bei dem man Leute aus aller Welt trifft und für wenig Geld das wunderschöne Land entdecken kann.

Bei einem Bummel durch Alice Springs mit einigen Mitbewohnern aus meinem Hostel treffen wir zwei einheimische Mädchen, die spontan anbieten, uns die Stadt zu zeigen. Einen ganzen Nachmittag lang fahren sie uns zu sämtlichen Sehenswürdigkeiten und erzählten uns von ihrem Leben im Outback. Wieder einmal bin ich von der Freundlichkeit der Australier begeistert.

Von Alice Springs aus geht meine Reise quer durch die Wüste zum südlichen Ende des Kontinents nach Adelaide, der als "Festival City" bekannten Hauptstadt des Bundesstaates Südaustralien. Von dort fliege ich nach Cairns, in die nördlichste Stadt an der Ostküste des Landes mitten im tropischen Regenwald. Touristenattraktion hier ist vor allem das weltbekannte Great Barrier Reef, das auf Tauch- und Schnorcheltouren erkundet werden kann. Auch dieses einmalige Erlebnis lasse ich mir natürlich nicht nehmen. Von Cairns aus geht es immer weiter Richtung Süden an der Küste entlang. Zu den Höhepunkten gehören eine Segeltour um die traumhaften Whitsunday Islands, eine Campingtour auf Fraser Island, der größten Sandinsel der Welt, und natürlich Sydney mit seinem Opernhaus und dem riesigen Hafen.

Mein letztes Ziel ist Melbourne, die am südlichsten gelegene Millionenstadt der Erde.. Von dort aus besuche ich die Great Ocean Road, eine wunderschöne Küstenstraße, von der aus man beeindruckende Felsformationen im Meer wie die "Zwölf Apostel" bestaunen kann.

Ende April endet meine Reise. Ich mache mich mit Tausenden wunderbaren Erinnerungen und Dutzenden Mitbringseln für meine Familie im Gepäck auf den Rückweg nach Deutschland. Am Flughafen von Sidney treffe ich am Boarding-Schalter Michelle wieder, die mich an meinem ersten Abend bei sich aufgenommen hat. Ich bin froh über die Gelegenheit, ihr noch mal persönlich danken zu können. Schließlich war sie es, die dafür gesorgt hat, dass sich mein Ärger über den missglückten Start in Australien in wenigen Stunden in Luft aufgelöst hat.

Seitdem ich wieder in Deutschland bin, plagt mich das Fernweh und die Sehnsucht nach dem Land, in dem ich die schönste Zeit meines Lebens verbrachte. Fast 4000 Fotos habe ich gemacht. Wenn ich sie anschaue, möchte ich am liebsten gleich die Koffer packen und in den nächsten Flieger nach "Down Under" steigen.