Die Station ist kein Brennpunkt, sondern ein Treffpunkt. Wir stellen Menschen aus dem Viertel nahe der Innenstadt vor.

Bargteheide. Connis Heimat ist der Kiosk am Bargteheider Bahnhof. Jeden Tag steht er hier und trinkt sein Bier. Holsten, nicht so kalt. Conni lebt von Hartz IV. Wie viel ist das im Monat? "Ein Scheiß ist das", sagt der 59-Jährige.

Es ist kurz nach 6 Uhr. Die Läden in den Bahnhofsarkaden schließen langsam, aber der Kiosk hat noch geöffnet, wie jeden Tag im Jahr bis 20 Uhr. Der Bahnhof und der Kiosk: Das ist wie eine Symbiose. Der eine lebt vom anderen. Die Pendler kommen hier vorbei, Jugendliche holen sich was zu trinken, Arbeitslose schlagen die Zeit tot. Hier ist immer irgendetwas los.

"Ich komme oft hierher. Immer wenn ich Pause hab'", sagt Heinz Peemöller, der seine Rente mit einem Job in einem Supermarkt aufbessert. "Man kennt sich und hält gern mal einen kleinen Klönschnack. Vor allem Hans-Werner, der Chef hier, ist super", sagt der 69-Jährige. Hans-Werner heißt Müller mit Nachnamen und betreibt den Kiosk. "An einem Sonntag hab' ich ihn mal gefragt, ob er Gurken hat", erzählt Peemöller. "Meine Frau brauchte die für einen Kartoffelsalat. Und weil Hans-Werner keine Gurken im Regal hatte, hat er seinen Sohn losgeschickt, um ein halbes Glas von Zuhause zu holen."

Ein junger Mann kommt in den Kiosk. "Haben Sie ein Getränk für 50 Cent?" Sonja Amariglio, die seit zwei Jahren hier arbeitet, berät ihn nach allen Regeln der Kunst. Wasser, Cola, Sprite - alles wird ernsthaft erwogen, aber alles ist zu teuer. Dennoch keine Spur davon, dass die Verkäuferin genervt wäre. Endlich fällt die Entscheidung. "Dann nehme ich eben das Baby-Getränk", sagt der junge Mann und holt sich eine Capri-Sonne für 40 Cent aus dem Kühlregal.

Der Chef erscheint. Hans-Werner Müller (72) führt seit einem Jahr den Kiosk in den Arkaden. Vorher war er in der Bahnhofshalle. "Die Bahn hat mich regelrecht rausgeekelt", sagt Müller. Und das schmeckt ihm bis heute nicht. Auch nicht, dass damals während der Umbauten zur Elektrifizierung der Bahnstrecke die Geschäfte so schlecht gingen. "Das war für mich ein Schaden von 170 000 Euro."

Und dann auch noch der Einbruch im vergangenen Herbst, einige Wochen, nachdem er in den Arkaden eröffnet hatte. "Telefonkarten und 250 Stangen Zigaretten haben die geklaut. Im Wert von 15 900 Euro", sagt Müller. Auf Leute, die so etwas machen, ist der 72-Jährige gar nicht gut zu sprechen. Auch nicht auf die, die vor einiger Zeit am Wochenende die Umzäunung auf der anderen Straßenseite kaputtgeschlagen und Papierkörbe umgerissen haben. "Leider sind das meistens die Kiddies", sagt Müller. "Die saufen vor, randalieren und gehen dann in die Disco. Die sollten mal zu mir kommen. Da kenn' ich nix."

Seitdem der Kiosk nicht mehr im Bahnhof ist, wirkt der Warteraum dunkel und trist. "Abends ist es ziemlich einsam hier. Das ist wirklich nicht angenehm", sagt Svenja Lippert aus Hamburg-Bergstedt. Die 20-Jährige steht mit ihrem Geigenkasten im Nieselregen und zieht eine Fahrkarte. "Einmal in der Woche fahre ich zur Musikhochschule nach Lübeck. Meine Mutter bringt mich immer mit dem Auto hierher nach Bargteheide", sagt die Studentin, die gerade Abitur gemacht hat.

Adrian Göbbels (19) hat sich mit seinem Laptop auf den Stufen vor der Bahnhofstür niedergelassen. Er surft via Handy im Internet. "Richtige Sitzmöglichkeiten haben wir hier viel zu wenig", sagt der Student, der jeden Tag mit dem Zug nach Lübeck zur Uni fährt. Und dass es keine Überdachung auf den Bahnsteigen, keinen Serviceschalter und nur noch einen Fahrkartenautomat gibt, kann ihn auch richtig aufregen. "Ich kann damit ja irgendwie umgehen, aber für alte Leute ist das einfach untragbar."

Zu spüren bekommt das auch Fahrdienstleiter Hans-Jürgen Grunert. Die Tür zu seinem Raum ist halb geöffnet. Aber ein Schild draußen verkündet unmissverständlich: Hier gibt es keine Fahrplanauskunft. "Die Leute klopfen trotzdem an und wollen was wissen oder haben kein Kleingeld für den Automaten. Aber ich darf hier nicht raus", sagt der 55-Jährige.

Seit 40 Jahren ist Hans-Jürgen Grunert bei der Bahn. Seit 1991 ist er in Bargteheide. "Der Bereich bis zur Kupfermühle gehört mir", sagt er. Und Stolz ist daraus zu hören. Grunert überwacht die Strecke, die Weichenstellungen und die Schranken. "Moment mal", sagt er und greift zum Telefon. Kurz darauf saust ein Sprinter vorbei - ein Zug, der ohne Halt von Hamburg nach Lübeck fährt. "Ich hab' dem Fahrer gesagt, er soll das Tempo drosseln. Der Regionalzug ist mit sieben Minuten Verspätung von hier los und bummelt noch vor ihm her."

Dass es keinen Service mehr auf dem Bahnhof gibt, macht auch ihm Kopfzerbrechen. "Irgendwann sind wir auch weg. Dann regeln die den Verkehr hier über die Zentrale in Hannover", sagt Grunert, "ich hoffe, dass ich dann schon in Rente bin."

Conni kratzt das nicht wirklich. Conni war mal Klempner. "Gas, Wasser, Scheiße. Du weißt schon", sagt er, "dann bin ich arbeitslos geworden." Conni geht an Krücken. Sein Bein schmerzt und ist fast steif. "Ich bin vor drei Jahren gestürzt und war dreimal im Krankenhaus. Hat alles nichts genützt", sagt er.

Er wohnt in der Nähe des Bahnhofs, in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Früher lebte er noch mit seiner Freundin zusammen. "Eines Morgens war sie nicht mehr da", sagt Conni. Abgehauen? "Ja, auf den Friedhof, tot", kommt die Antwort. In seinen Augen schimmert es glasig. Das ist nicht nur der Alkohol.

"Jetzt bin ich allein. Mit meiner Katze. Die hab' ich aus dem Knast geholt. Na ja, aus dem Tierheim", sagt Conni. Eine Menge Geld habe ihn das schon gekostet. "Erstmal, um die Katze da rauszuholen. Und dann die Tierarztrechnungen. Die waren heftig." Kann er das mit Hartz IV überhaupt bezahlen? "Für meine Katze immer. Darauf kannst du Gift nehmen", sagt Conni.