Abendblatt:

Frauen im Priesteramt sind immer noch ein Tabu.

Thissen:

Das ist immer wieder ein Thema. Nach katholischer Sicht hat niemand, kein Mann und keine Frau, das einklagbare Recht, Priester zu werden. Weil es nicht nur um Fähigkeiten, sondern vor allem um Berufung geht. Es ist keine Frage von Gleichberechtigung.

Abendblatt:

Warum nicht?

Thissen:

Vor etwa sechs Jahren hat Papst Johannes Paul II gesagt, dass wir uns als katholische Kirche nicht befugt fühlen, Frauen zu Priestern zu weihen. Weil Jesus die amtlichen Aufgaben in seiner Kirche den Männern anvertraut hat. Obwohl ganz im Gegensatz zu den damaligen Gepflogenheiten auch Frauen in seinem Gefolge waren. Warum hat er nicht seine Mutter oder Maria Magdalena beauftragt? Wir wissen es nicht. Umgekehrt muss man sagen: Was wäre die Kirche ohne Frauen? Wir müssen alles dafür tun, junge Frauen zu gewinnen - für die Dienste, die da sind.

Abendblatt:

Welchen Einfluss haben Frauen in der Kirche?

Thissen:

Einen sehr großen. Es gibt etwa viel mehr Frauen in den Pfarrgemeinderäten als Männer.

Abendblatt:

Themenwechsel. Noch immer lehnt die katholische Kirche den Einsatz von Kondomen ab. Ist das in Zeiten von Aids und Bevölkerungsexplosion in Dritte-Welt-Ländern noch zeitgemäß?

Thissen:

Europa hat Milliarden Kondome nach Afrika gekarrt, gebessert hat sich nichts. Wir haben das Problem zu sehr aus unserem Blickwinkel betrachtet. Aber die afrikanische Seele ist anders. Deshalb kann ich dem Papst nur zustimmen: Die Fragen des sexuellen Miteinanders müssen humanisiert werden, um der Krankheit entgegen zu wirken.

Abendblatt:

Was heißt das konkret?

Thissen:

Wir müssen die Humanisierung in Afrika auch im sexuellen Bereich fördern.

Abendblatt:

Was meinen Sie denn mit Humanisierung der Sexualität?

Thissen:

Dass wir dafür sorgen, dass menschliche Entwicklung möglich ist. Dazu gehört auch, dass jemand Arbeit, Nahrung und eine vernünftige Wohnung hat. Und das versucht die katholische Kirche auf vielen Wegen, etwa durch ihr Entwicklungshilfswerk Misereor.

Abendblatt:

Aber Aids gibt es auch in Deutschland. Ist es nicht geradezu fahrlässig, sich angesichts dieser ansteckenden Krankheit gegen den Einsatz von Kondomen zu stellen?

Thissen:

Nein, ich halte es für höchst fahrlässig, das Problem Aids allein durch Kondome bewältigen zu wollen. Ob Kondome in manchen Situationen nicht das kleinere Übel sind, darüber kann man reden. Aber Aids lässt sich nicht technisch lösen.

Abendblatt:

Gleichgeschlechtliche Ehe zählt ebenfalls zu den Themen, zu denen die katholische Kirche eine klare Meinung hat.

Thissen:

Wir sind nach wie vor der Meinung, dass zur Ehe nicht die Gleichgeschlechtigkeit, sondern Mann und Frau gehören. Wir haben nichts gegen Homosexuelle. In unseren Kirchen haben wir ja auch Menschen, die homosexuell veranlagt sind. Wir richten uns also nicht gegen Homosexuelle, sondern dagegen, Homosexualität als Norm zu propagieren.

Abendblatt:

Im relativ wohlhabenden Kreis Stormarn lebt jedes siebte Kind in Armut. Müssen wir uns an diesen Gedanken gewöhnen? Was kann die Kirche da tun?

Thissen:

Wir müssen sowohl im Staat, in der Gesellschaft als auch in der Kirche soziale Netzwerke schaffen, um Menschen aufzufangen. Wir sollten mehr hingucken. Dafür zu sorgen, dass Menschen nicht allein sind, ist für die Kirche eine Riesenchance. Aber auch eine Riesenaufgabe und Riesenverpflichtung.

Abendblatt:

Herr Erzbischof, wir danken Ihnen für das Gespräch.