Missbrauch nimmt dramatisch zu und hält Retter von der Arbeit ab - “110“ und “112“ sind ab morgen nicht mehr anonym zu erreichen.

Bad Oldesloe. Ab morgen können die Notrufnummern "112" und "110" nicht mehr von Handys ohne SIM-Karte gewählt werden. Der Grund für diese Neuregelung: Die Rettungsleitstellen werden regelrecht mit falschen Notrufen bombardiert, bei denen der Anrufer anonym bleibt, weil kartenlose Handys keine Nummer übertragen. Jetzt wird die Notruffunktion im Mobiltelefon abgestellt. Beim Einschalten eines Mobiltelefons ohne SIM-Karte erscheint nicht mehr der Hinweis "Nur Notruf möglich".

Die Mitarbeiter der Einsatzzentrale in Bad Oldesloe zählen am Tag durchschnittlich mehr als 80 Anrufe aus den Kreisen Stormarn und Herzogtum Lauenburg, bei denen sofort wieder aufgelegt wird. Von 352 270 Notrufen, die im vergangenen Jahr in der Oldesloer Zentrale ankamen, waren rund 30 000 Fehlalarme. Ein Jahr zuvor war die Zahl noch halb so hoch: 2007 gingen knapp 360 000 Notrufe ein, in 15 364 Fällen wurde die "112" missbräuchlich gewählt.

Dieser bundesweiten Entwicklung will die Regierung nun mit der neuen Verordnung entgegenwirken. Markus Hilchenbach, Leiter der Oldesloer Rettungsleitstelle, sagt, dass zirka 90 Prozent der falschen Notrufe über ein kartenloses Handy erfolgen. "Ich rechne damit, dass ab dem 1. Juli der Missbrauch spürbar zurückgeht", sagt Hilchenbach. "Zwar dauert der vermeintliche Hilferuf nur wenige Sekunden, doch über den Tag summiert sich dies." Echte Notfälle könnten in der Warteschleife hängenbleiben.

Die Anrufe, bei denen sofort wieder aufgelegt wird, häufen sich deutlich in den Unterrichtspausen und nach Schulschluss, sagt Hilchenbach. Dass es sich um Schülerstreiche handele, erkennen die Mitarbeiter der Rettungsleitstelle daran, dass die Notrufnummer auch aus Telefonzellen, die in der Nähe von Schulen stehen, gewählt wird. "Es wird kurz ins Telefon gelacht oder gleich aufgelegt", sagt Hilchenbach: "Wird mehrmals hintereinander aus einer Telefonzelle bei uns angerufen, alarmieren wir auch mal die Polizei und fragen, ob ein Streifenwagen in der Nähe ist."

Häufig gebe es auch Anrufe von Flohmärkten. Um zu überprüfen, ob ein angebotenes Mobilfunktelefon auch funktioniert, erfolgt der kostenlose Anruf bei den Rettungsleitstellen. Laut Strafgesetzbuch (§145) ist der Missbrauch von Notrufen strafbar. Wer eine Notlage vortäuscht, kann eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr oder eine Geldstrafe bekommen.

Hilchenbach erinnert sich an eine Reihe dieser sogenannten böswilligen Alarmierungen im Januar dieses Jahres. "In mehreren Nächten hat eine Person anonym angerufen und ein Feuer im Großraum Reinbek gemeldet. Dabei handelte es sich jedes Mal um ein Fehlalarm. Die Feuerwehr ist vergebens ausgerückt." In diesen Fällen ermittelt derzeit noch die Kripo. Der Täter dürfte aber nur schwer zu finden sein. Denn auch er hat mit einem Handy ohne SIM-Karte angerufen.

Wer glaubt, dass er trotz einer Karte im Handy durch die Rufnummer-Unterdrückung inkognito bleibt, der irrt. Die Netzbetreiber sind laut Gesetzt dazu verpflichtet, diese Funktion bei Notrufen zu deaktivieren. Ab morgen erscheint die Nummer immer auf den Displays der Notrufzentrale.