Hedwig und Walter Reiser übernahmen 19 Patenschaften - und haben mehr als eine halbe Million Euro gesammelt.

Oststeinbek. Sie leben in einem hübschen Einfamilienhaus. Mit Garten und Terrasse, in einer gepflegten Siedlung in Oststeinbek. Doch auch Madhya Pradesh, einer der ärmsten Bundesstaaten in Indien, ist für Hedwig und Walter Reiser ihr Zuhause. Eine öde Landschaft rund um die Millionenstadt Indore, wo zwischen Juli und September starker Monsunregen fällt und der Rest des Jahres trockene Hitze herrscht.

"Wir haben zwei Herzen: Das eine ist in Deutschland, das andere schlägt in Indien", sagt die 69-Jährige. Acht Mal ist sie mit ihrem Mann schon ins zentralindische Hochland gereist. Nicht um Urlaub zu machen, sondern um den Kindern dort zu helfen. Ihnen eine schulische Ausbildung zu ermöglichen - eine Zukunft.

"Angefangen hat alles mit einer Patenschaft für ein indisches Kind, die wir über einen Verein übernommen hatten", sagt Walter Reiser. "Wir hatten von der Not der Menschen dort gehört und wollten gerne helfen." Er lacht und sagt: "Heute haben wir 19 Patenschaften." Und nicht nur das: Seit 2001 hat das Paar rund 540 000 Euro Spendengelder für Projekte in Madhya Pradesh gesammelt. Und vor fünf Jahren gründeten sie den Verein "Paten indischer Kinder Norddeutschland" mit. Für ihr großes ehrenamtliches Engagement haben Hedwig und Walter Reiser gestern in der Villa Hammerschmidt in Bonn von Bundespräsident Horst Köhler die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland verliehen bekommen. Insgesamt zeichnete Köhler 13 Frauen und Männer aus Schleswig-Holstein für ihren Einsatz für Not leidende Menschen in allen Teilen der Welt aus. "Diese Ehrung ist eine große Anerkennung unserer Arbeit und gilt allen, die mitgeholfen haben", sagt Hedwig Reiser.

Das erste Mal flog das Ehepaar 2001 ins ferne Indien. "Zuvor hatten wir Father Lucas, der sich in Indien für die Armen der Gesellschaft einsetzt, in Deutschland kennengelernt", erinnert sich Hedwig Reiser. Der Geistliche habe ihnen von den schwierigen Lebensbedingungen berichtet und angeregt, dass sich das Paar selbst ein Bild von der Situation vor Ort mache. "Die Armut dort hat uns schockiert", beschreibt Walter Reiser seinen ersten Eindruck. "Auf der anderen Seite waren wir begeistert von der Hilfe durch die Kirche, die völlig unabhängig von der Religion für die Kinder etwas tut." Etwa in Form von sogenannten Internaten, Schlafstätten für Mädchen und Jungen, von denen einige mit seiner Frau besucht habe. "Dort sind Kinder untergebracht, die ansonsten nicht zur Schule gehen könnten, da sie in den 30, 40 Kilometer entfernten Dörfern der Ureinwohner leben", erklärt Hedwig Reiser. Die Stammesmitglieder - Anhänger einer Naturreligion - seien oft Analphabeten, wohnten in Strohhütten und hätten in guten Zeiten eine Mahlzeit am Tag. Ohne die Internate, in denen die Kinder schlafen, spielen und essen, hätten sie häufig nicht die Chance, eine Schule zu besuchen. "Und somit keine Chance, der Armut zu entfliehen", sagt die pensionierte Lehrerin. "Statt Lesen und Schreiben zu lernen, hüten sie dann Schafe und Ziegen."

An den Moment, in dem sie sich dazu entschlossen, sich für die Kinder und ihre Bildung einzusetzen, können sich die Reisers noch gut erinnern. "Wir waren in einem Jungen-Internat", sagt Walter Reiser. "Dort haben 60 Kinder auf 50 Quadratmetern gelebt. Es gab einen einzigen Wasserhahn für alle. Keine Toilette. Diese Zustände haben uns entsetzt", sagt der 71-Jährige. "Wir wussten sofort: Hier muss ein neues Internat gebaut werden."

Rund 20 000 Euro hat das Paar aus privater Kasse zu diesem Projekt beigesteuert. Noch 2001 sei der erste Grundstein gelegt worden. "Bei diesem Ereignis dabei zu sein, zählt zu unseren schönsten Erlebnissen in Indien", sagt Hedwig Reiser und streicht mit einem Finger über ein Foto, auf dem der Moment festgehalten wurde. "Seitdem konnten wir mit Hilfe von vielen Spenden weitere Internate bauen, Inneneinrichtungen finanzieren und Brunnen renovieren."

Wenn die beiden gefragt werden, warum sie so viel Arbeit, Freizeit und Geld in die Projekte investieren, lächeln sie sanft. "Wir sind sehr christlich geprägt, haben selbst keine Kinder und kommen mit unserem Geld gut aus", sagt Hedwig Reiser, die sich auch in ihrer Kirchgemeinde ehrenamtlich engagiert. "Warum sollen wir Geld anhäufen, wenn wir damit Kindern in Not helfen können?" Klingt simpel. Und ist für die Reisers selbstverständlich. "Die strahlenden Kinderaugen sind das schönste Dankeschön, das es gibt." Diese Fröhlichkeit und Herzlichkeit der Menschen in Indien - das sei wohl das Faszinierende an diesem Land. Walter Reiser klingt euphorisch als er sagt: "Bei jedem Besuch bekommen wir so viel Freude entgegen gebracht, dass wir jedes Mal erfüllt wieder nach Deutschland fahren."