71-jährige Ahrensburgerin schildert, wie sie damit umgeht, ihren Lebenspartner Tag für Tag ein wenig mehr zu verlieren.

Ahrensburg

Bruno Hotz hält einen roten Plastikbecher in den Händen. Der 73-Jährige soll durch einen gelben Strohhalm Wasser trinken, in dem seine Tabletten aufgelöst sind. Er will nicht. "Noch einmal ziehen", ermutigt Käthe Hotz ihren Ehemann. Als er schließlich trinkt, lacht sie ihn erleichtert an. "Der Kandidat hat 99 Punkte."

Ordentlich sieht Bruno aus, in seinem hellbraunen Strickpullover und der dunkelgrauen Stoffhose. Auch den Kuchen, den seine Frau wie fast jeden Nachmittag gebacken hat, kann er alleine essen. In Brunos Kopf herrscht jedoch alles andere als Ordnung. Ein Blutschwamm in seinem Gehirn stört die Durchblutung, wodurch Nervenzellen absterben. Auch von hochgradiger Verkalkung redeten die Ärzte vor 15 Jahren, als Käthe Hotz mit ihrem Mann zur Kernspintomografie ging. Er hatte plötzlich das Bein nachgezogen, wollte nicht ins Krankenhaus.

"Mein Mann war nie krank", betont seine Ehefrau. Dann die Diagnose: Vaskuläre Demenz. Anders als die Alzheimer-Krankheit äußert sich diese Demenzform weniger durch Gedächtnisstörungen als durch Verlangsamung, Denkschwierigkeiten und Stimmungslabilität. "Am Anfang hab ich gedacht: Das schaffst du nicht", sagt Käthe Hotz. "Aber man wächst da so rein." Für die 71-Jährige mit den hochgesteckten braunen Haaren ist es selbstverständlich, dass sie sich um ihren Mann kümmert. Auch wenn er sie manchmal nicht mehr erkennt, nur die Namen seiner Mutter und Geschwister ruft. Das sei typisch für Demenzkranke, sagt Helma Schuhmacher, Vorsitzende der Alzheimer Gesellschaft Stormarn. Sie zögen sich in die Vergangenheit zurück. "Mich spricht er nie mit meinem Namen an", sagt Käthe Hotz leise und nestelt an dem kleinen Anhänger ihrer goldenen Halskette. Manchmal ärgere sie das.

Käthe Hotz erträgt, dass ihr Mann sich immer weiter von dem Menschen entfernt, den sie vor fast 50 Jahren geheiratet hat. "Er kann ja nichts dafür", sagt sie. Während sie von den vergangenen 15 Jahren spricht, faltet sie eine gelbe Serviette zwischen ihren Fingern. Immer kleiner. Beim Reden rettet sie sich oft in Formulierungen, wie "man" mit der Situation umgehe. Dass es ihre Leistung ist, dass Bruno trotz Pflegestufe 3 noch in dem vom ihm selbst geplanten Haus leben kann, schiebt sie zur Seite. Auch, warum es gerade ihren Mann getroffen hat, der immer gesund gelebt hat. "Nach dem Warum darf man nicht fragen."

Der Mann mit dem Schnurrbart und dem lichten braunen Haar, der hier in seinem Wohnzimmer im Rollstuhl sitzt und nicht trinken will, war einmal ein intelligenter, humorvoller Mensch. Käthe Hotz zeigt Fotos von seinem 60. Geburtstag im Altonaer Theater. Auf einem Bild dirigiert Bruno zum Spaß seine Freunde, die ihm ein Ständchen spielen. "Er hatte so'n Schelm im Nacken", erinnert sich seine Ehefrau an die Zeit, bevor die Krankheit ihr gemeinsames Leben auf den Kopf stellte. Als Bruno noch Schaufenstergestalter und Bühnenbildner war und später als Vertreter Janosch-Spielzeug verkaufte. Auch die Niederdeutsche Bühne, an der Käthe Hotz seit 40 Jahren auftritt, hat ihr Ehemann zwölf Jahre geleitet. Viele Reisen hätten sie unternommen, sagt die ehemalige Textilverkäuferin, die ihren Mann bei der Arbeit kennen gelernt hat. Auf ihrer Hochzeitsreise fuhren sie mit einem Renault 4 durch Italien. "Man hat so viel Schönes zusammen erlebt", erinnert sich Käthe Hotz. Ihre letzten Reisen führten nach Helgoland - in eine Klinik. Danach ging es Bruno immer besser. "Dieses Jahr war das leider nicht so", sagt Käthe Hotz und guckt aus dem Fenster. Den Garten mit den vielen Blumen und dem kleinen Teich hat Bruno gestaltet. Jetzt sitzt er manchmal auf der weißen Bank, wenn sie im Garten arbeitet. Sein Gesundheitszustand schwankt ständig. Manchmal gibt es Lichtblicke, immer wieder hofft Käthe Hotz, dass er sie erkennt. Und wird oft enttäuscht. Gewöhnen kann sie sich nur schwer daran: "Das ist immer wieder ein Schlag." In ein Pflegeheim will sie ihren Ehemann noch nicht geben, obwohl er seit acht Jahren auch an Parkinson leidet. "Ich mag ihn nicht hängen lassen." Zweimal täglich kommt ein Pfleger, um Bruno zu waschen und für den Tag oder die Nacht vorzubereiten. Manchmal ist Käthe Hotz ein paar Tage mit dem Theater unterwegs. Dann wird Bruno in einem Heim betreut. Das fällt seiner Ehefrau schwer, aber sie sagt: "Anders geht es nicht, also: Augen zu und durch!"

Ihre größte Sorge ist es, einmal nicht mehr für ihren Mann sorgen zu können. Vor zwei Jahren hatte Käthe Hotz einen Zusammenbruch, erholte sich in einer Kur. Seitdem versucht sie, auch mal selbst aufzutanken. "Für Bruno muss ich gesund bleiben", sagt sie. Einmal die Woche ist er für drei Stunden in einer Gruppe der Alzheimer Gesellschaft. "Manchmal besuche ich dann eine Freundin in Hamburg oder gehe schwimmen", sagt Käthe Hotz. "Sonst ist man ja immer auf dem Sprung."

Es gibt aber auch schöne Momente. Neulich waren sie bei einem Gottesdienst unter freiem Himmel. "Das war ganz, ganz schön." Als Käthe Hotz davon erzählt, nimmt sie Brunos Hand und lächelt ihn liebevoll an. Da will Bruno auch etwas sagen: "Ich habe eine Frage..." Er bricht ab. Seine Frau lächelt. "Das fällt dir bestimmt später wieder ein." Vielleicht wird sie nie erfahren, was er fragen wollte. Dass sie sich mit ihrem Mann nicht mehr unterhalten kann, schmerzt Käthe Hotz. Trotzdem spricht sie ihn immer wieder an. "Er kann sich zwar nicht äußern", sagt sie. "Aber er bekommt mehr mit, als man denkt."