Kinderschutzbund warnt: “Die Schere zwischen Arm und Reich wird größer.“ Oldesloer Vereine bereiten eine Solidaritätswoche für Anfang Juni vor.

Ahrensburg/Bad Oldesloe

Ein dreiviertel Jahr hat die Ahrensburgerin Elfriede F. (Name geändert) gebraucht, bevor sie sich zur Essensausgabe der Tafel an der Manhagener Allee getraut hat. "Es war schwer für mich. Heute ist mir egal, was die Leute denken", sagt die 61-Jährige. Anonym bleiben möchte sie trotzdem, ihr Foto nicht in der Zeitung sehen. Seit 2005 kommt sie ins "Uns Huus", seit Hartz IV eingeführt wurde. "Zum Leben bleiben nur 160 Euro im Monat", sagt sie und schaut über den Rand ihrer Brille. "Ich bin froh, dass es die Tafel gibt."

Froh darüber sind auch die 80 anderen Familien, die zweimal wöchentlich zur kostenlosen Essensausgabe kommen. Hier stehen Milchpaletten im Raum, Salatköpfe, Joghurt und Weintrauben stapeln sich in den Regalen. Über allem liegt der Duft von Brot. Draußen vor der Tür warten die Bedürftigen. Einige unterhalten sich leise. Ihre noch leeren Trolleys sind ordentlich nebeneinander aufgereiht.

In Stormarn, einem Kreis, der zu den zehn wirtschaftsstärksten der 323 deutschen Kreise gehört, haben immer mehr Menschen Mühe, am normalen Leben teilzunehmen. Und längst trifft Armut nicht mehr nur Arbeitslose, Alleinerziehende, Alte und Ausländer. Auch Arbeitnehmer aus der Mittelschicht fürchten zunehmend den sozialen Abstieg. 4990 Familien beziehen nach Angaben der Arge Hartz IV. Mehr als 20 Prozent von ihnen leben in Bad Oldesloe. Bürgermeister Tassilo von Bary sagt: "Die Zahl der bedürftigen Menschen hat enorm zugenommen. Die Wirtschaftskrise merken wir hier." Die von Armut betroffenen Menschen dürfe man nicht aus den Augen verlieren. Er hat die Schirmherrschaft übernommen für die "Solidaritätswoche arMUT", die rund 30 Vereine und Institutionen vom 8. bis 14. Juni in der Kreisstadt veranstalten. "Wir wollen nicht über Armut reden. Wir wollen handeln, unbürokratische Unterstützung anbieten", sagt Cornelia Steinert, Schuldnerberaterin beim Deutschen Roten Kreuz in Bad Oldesloe. Armut sei ein schleichender Prozess, die Betroffenen suchten meist viel zu spät nach Hilfe. Erst wenn nichts mehr geht, das Konto gepfändet, der Strom abgestellt ist, die Obdachlosigkeit droht und der psychische Druck so stark geworden ist, dass er über die Scham siegt, kommen sie in die Beratung. Cornelia Steinert hofft, dass Impulse von der Solidaritätsveranstaltung aus- und über die Woche hinausgehen. Sie sagt: "Jedes Einzelschicksal ist eine Schande für Stormarn - Armut ist eine Schande für unseren reichen Kreis." Schleswig-Holstein ist mit einer Armutsquote von 12,5 Prozent das viertreichste Land in Deutschland. Das ergibt der jetzt veröffentlichte Armutsbericht des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Der Süden des Landes weist mit 8,3 Prozent die niedrigste Quote aus. Das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Kinderarmut in Stormarn ein Dauerthema ist. Von 41 587 unter 18-Jährigen sind 3478 von Sozialleistungen abhängig - ein Anteil von 8,36 Prozent.

Dabei stellt sich die Situation in Stormarn unterschiedlich dar. "Es gibt ein deutliches Gefälle", sagt Ingo Loeding, Geschäftsführer des Stormarner Kinderschutzbundes. "Die Sozialgeld-Hochburg ist in Bad Oldesloe." In der Kreisstadt leben 17 Prozent der Kinder von Hartz IV. Loeding: "Jedes vierte Kind ist von Armut betroffen." Auf Platz zwei folgt die Stadt Ahrensburg. Von 5440 Kindern leben 505 von Sozialleistungen. "In einem reichen Kreis wie Stormarn wird die Schere zwischen Arm und Reich größer", sagt Ingo Loeding. Armut bedeute nicht nur finanzielle Not, sondern auch weniger soziale Integration. Und deutlich schlechtere Ernährung. Und Armut verhindere, dass junge Menschen den normalen Bildungsweg gehen. "Wenn die Ganztagsschule nicht denen zugute kommt, die es am meisten bräuchten, dann läuft etwas ganz falsch", sagt Loeding.

Arme Kinder könnten sich die kostenpflichtigen Nachmittagsangebote nicht leisten. Die Politik muss sicherstellen, dass das Angebot allen zugute kommt. Ein Modell wäre die eigenständige Grundsicherung für Kinder, die der Kinderschutzbund schon seit längerem fordert. "Kinder sollten einen monatlichen Betrag in angemessener Höhe bekommen, der nicht in das System von Hartz IV fällt", sagt Ingo Loeding. "Denn wir wollen eine normale Lebenssituation für alle - und besonders für alle Kinder."