Die 54-Jährige sagt: “Ich hatte immer wieder gewarnt, dass mein Sohn mit einem Messer durch die Stadt läuft.“ Beim Zugriff durch die Polizeibeamten trug er es bei sich.

Ahrensburg. Gabriele W. hat Angst um ihren Sohn. Mitunter hat sie auch Angst vor ihm. Und davor, dass von ihm eine Gefahr für andere Menschen ausgehen könnte. "Ein Amoklauf, so etwas wie in Winnenden - das habe ich durchaus für möglich gehalten", sagt sie. Tatsache ist: Beamte des Sondereinsatzkommandos (SEK) der Polizei, zwölf vermummte und schwerbewaffnete Männer, mussten den 26-Jährigen in seinem Elternhaus in feinster Ahrensburger Villenlage überwältigen - in einem Geheimversteck im Keller, in dem zwei Jagdgewehre und Munition lagerten. Er trug drei Jagdmesser mit etwa 20 Zentimeter langen Klingen bei sich. Jens R. (Name von der Redaktion geändert) wird jetzt in der geschlossenen Abteilung des Heinrich-Sengelmann-Krankenhauses in Bargfeld-Stegen behandelt.

Seine Mutter sitzt zu Hause auf dem Sofa, raucht und wirkt nachdenklich. "So weit hätte es nicht kommen müssen", sagt die 54-Jährige, "der Richter hätte ihn viel früher ins Krankenhaus einweisen müssen. Dann wäre das alles nicht passiert."

"Das alles" beginnt am späten Nachmittag des 6. Mai. Jens R., 1,98 Meter groß, 150 Kilogramm schwer, ist "ein hübscher Kerl", wie seine Mutter sagt. Doch seit Anfang April habe er sich auffällig verhalten. "Er hat wieder angefangen, Drogen zu nehmen", sagt die Mutter, "ich habe dieses Marihuana gerochen." Er sei oft nicht ganz bei sich gewesen, habe im Garten Selbstgespräche geführt, sich für einen Geheimagenten gehalten und Wahnvorstellungen gehabt. Die Mutter erzählt von Gewaltvideos und Computer-Ballerspielen. "Und nachts hat er mich nicht mehr schlafen lassen." Am 6. Mai um 17 Uhr sei die Aggression in der weißen Villa eskaliert.

Zu diesem Zeitpunkt klingelt das Telefon von Jörg Reimann. Der Mitarbeiter der Kreisverwaltung hat Rufbereitschaft im sozialpsychiatrischen Dienst. Er erinnert sich: "Zuerst habe ich gedacht: Da hat sich jemand im Kinderzimmer eingesperrt. Na und? Der will bestimmt nur seine Ruhe haben." Als Reimann von der Frau erfährt, dass sich Schusswaffen im Haus befinden, wird er hellhörig. Eine Stunde später klingelt er in Begleitung einer Amtsärztin an der Tür. "Wir sind runter in den Keller gegangen, ganz in die hinterste Ecke, noch durch den Heizungskeller durch." Das Zimmer liegt hinter einer Stahltür. Ein 25-Quadratmeter-Raum, in den kaum Tageslicht fällt. Reimann öffnet die Tür einen Spalt. "Die Musik war tierisch laut. Es war stockdunkel. Ich habe gesagt, dass ich da nicht reingehe." Jörg Reimann ruft die Polizei zur Hilfe.

Sechs Beamte kommen. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass sich Jens R. hinter einer geheimen Drehtür verschanzt hat, die von seinem Zimmer abgeht. Und dass dahinter Jagdgewehre seines Vaters und Munition liegen sollen. Reimann: "Er hat gebrüllt und uns beschimpft. Ich habe gedacht, er kommt da raus und bringt uns um, oder er bringt sich selber um."

Auch den Ahrensburger Polizisten wird die Sache offenbar zu heiß. Sie fordern das SEK aus Kiel an. Um 20.45 Uhr fährt die Spezialeinheit vor. Die Beamten maskieren sich, legen schusssichere Westen an und tragen schwere Schilde ins Haus. Sie haben einen Schäferhund dabei. Um 21.30 Uhr öffnen die Beamten die Geheimtür und überwältigen Jens R. Er brüllt und wehrt sich. Um 23 Uhr ist wieder Ruhe eingekehrt im Villenviertel.

Für die Polizei, deren Sprecherin Jana Kralisch den Vorfall erst jetzt auf Anfrage bestätigt hat, ist das "eine Geschichte, die sich innerhalb der eigenen vier Wände abgespielt hat und insofern nicht von öffentlichem Interesse ist". Tatsache ist allerdings, dass der SEK-Einsatz im sonst ruhigen Villenviertel für Unruhe gesorgt hat. Kralisch bestätigt auf Anfrage, was Mutter Gabriele W. sagt, nämlich dass es bereits Ende April Polizeieinsätze an der Kaiser-Wilhelm-Allee gegeben hat. Auch damals war der sozialpsychiatrische Dienst eingeschaltet.

Für die Mutter ist der Fall "ein Behördenversagen. Die Polizei hat Jens zweimal mitgenommen. Auf der Wache in Ahrensburg hat ein Amtsarzt nie einen Grund gesehen, ihn in die geschlossene Psychiatrie einzuweisen."

Gabriele W. sagt, sie habe sich schon am 3. April ans Ahrensburger Amtsgericht gewandt. Dort habe sie Richter Simon Starke getroffen, der ihren Worten zufolge einen Gutachter schickte. Dieser habe sich am Montag, 6. April, um 18 Uhr mit Jens R. unterhalten - unter vier Augen, in der Küche des Elternhauses. Gabriele W.: "Der Arzt hat gesagt, Jens sei krank, er habe eine Psychose. Aber es reiche nicht für eine Einweisung." Die Mutter lässt nicht locker. Nach den ersten Polizeieinsätzen ruft sie den Richter wieder an. Sie habe ihm berichtet, dass Jens R. mit Messern durch die Stadt laufe. "Da hat der Richter gesagt: 'Schmeißen Sie ihn doch einfach raus'", entrüstet sich die Mutter. Sie klagt an: "Das Amtsgericht hat versagt." Nun wolle sie sich "beim Generalstaatsanwalt" darüber beschweren.

Das Amtsgericht weist alle Vorwürfe zurück. Sprecher Friedrich Kies betont, das Gericht beziehe im Interesse des Betroffenen keine Stellung. So viel nur: "Das Gericht hat die nötigen Ermittlungen eingeleitet, nach denen bis zum 6. Mai keine Gründe für eine geschlossene Unterbringung gegeben waren."

Hinzu kommt, dass Gabriele W. nicht die gesetzliche Vertreterin ihres Sohnes ist. Denn der steht unter der Betreuung des Grinauers Volker Schnackenbeck. Er sagt: "Zu mir ist Herr R. immer sehr nett. Die innerfamiliäre Situation ist problembehaftet."

Für die Familie hat der Vorfall ein Nachspiel. Die Waffenaufsicht beim Kreis ermittelt. Beim Einsatz am Mittwoch war aufgefallen, dass der Vater, auf den die Waffen zugelassen sind, "nicht mehr geeignet" sei, Waffen zu besitzen.