Leserin Liane Petersen mit einer literarischen Kurzgeschichte

Leise schlich Lea sich aus dem Zimmer. Niklas und Mareike schliefen tief und fest, die nächsten Stunden würden ihr allein gehören. Wie jeden Abend ging sie in ihr kleines Wohnzimmer, setzte sich auf die Schlafcouch und überdachte den Tag. Ihr kleiner Sohn war erkältet, weshalb sie es heute vorgezogen hatte, mit beiden Kindern zu Hause zu bleiben. Mit Spielen, Vorlesen und Pfannkuchenbacken war der Tag schneller geschafft, als sie am Morgen befürchtet hatte.

Alleinerziehende Mutter von fröhlichen Kindern bei Sonnenschein zu sein, fiel ihr nicht sonderlich schwer, Krankheit und Regen schlugen ihr allerdings regelmäßig aufs Gemüt.

Seit drei Jahren stellte Lea sich jeden Abend die gleichen Fragen: Ob sie für immer ohne Partner leben müsse? Wie sie ihre einfallslose Freizeitgestaltung optimieren könnte? Und was es wohl im Fernsehen gab? Letzteres war am einfachsten zu beantworten. Es war 19.17 Uhr, sie schaltete das Gerät ein. Mit aufgeregter Stimme verkündete der Nachrichtensprecher: "Soeben erreichte uns die Nachricht, dass ab sofort jeder DDR-Bürger direkt in die BRD ausreisen darf." Lea erstarrte.

Die halbe Nacht schaltete sie sich durch die Programme, registrierte, dass die Deutschen sich wohl an diesem Tage als das glücklichste Volk der Welt fühlten und wie sehr die Zeit reif war für eine gravierende Veränderung. Menschen lagen sich in den Armen, weinten, lachten und feierten zusammen. Bilder, die sie so bewegten, dass sie ihre Tränen vor Rührung, aber auch vor Kummer, einfach nicht stoppen konnte. Wie gern hätte sie jetzt auch mit jemandem auf dieses historische Ereignis angestoßen. Ein bisschen schämte sie sich, in diesem großartigen Augenblick an ihre eigenen banalen Sorgen zu denken. In diesem Moment fasste sie einen, folgeschweren Entschluss. Voller Tatendrang räumte sie die Berge an nassen Papiertaschentüchern vom Tisch und verfasste einen Text für eine Kontaktanzeige. Erst in den frühen Morgenstunden war sie halbwegs mit ihrem Werk zufrieden und legte sich erschöpft, aber zuversichtlich zu ihren beiden Kindern.

Nach wenigen Stunden Ruhe, weckte Niklas sie mit einem munteren: "Ich bin wieder gesund!" Diese Aussage musste überprüft werden, aber sie war zumindest schon recht vielversprechend. Es gab wirklich keinen Grund, die beiden Kinder nicht in den Spielkreis zu bringen und ihren wagemutigen Vorsatz in die Tat umzusetzen. Die Menschen waren durch die aktuellen politischen Geschehnisse genügend abgelenkt, niemand würde ihre Nervosität wahrnehmen, ihr Herzrasen hören. Mit schweißnassen Händen betrat Lea die Anzeigenannahmestelle des Hamburger Abendblatts. Eine Frau mittleren Alters schaute sie freundlich an und machte ihr augenblicklich Mut. Sie las Leas Text laut vor. Gott sei Dank befand sich kein weiterer Kunde im Laden.

"Geschafft! Gelitten, gelernt, geschieden - Lebensfreude wiedergefunden. Nun plane ich (W., 32 J.) schon den 24. Dezember. Zum Fest gehören Kinder (5 und 3 Jahre - sind schon vorhanden), gutes Essen (koche ich) und nette Gesellschaft (da dachten wir an dich)."

"Wir haben ja erst den 10. November. Da sollte ihnen wohl genügend Zeit bleiben, den richtigen Weihnachtsmann ausfindig zu machen", prophezeite eine Männerstimme hinter ihr.

Liane Petersen, 46, aus Bargteheide ist Buchhändlerin und schreibt nebenbei