Leser Klaus Harbs aus Reinbek über eine Begegnung am ersten Sonntag nach dem Mauerfall

12. November 1989 - ein Sonntag. In der Mittagszeit fuhr ich nach einem Geburtstagsempfang im Westen Hamburgs mit dem Auto zurück nach Reinbek. Schnell wurde klar: Dies ist kein normaler Sonntag. Menschen waren in Scharen unterwegs, in den Straßen reihten sich Autoschlangen aneinander, in denen Trabis dominierten. Es war das erste Wochenende nach Öffnung der Mauer. Zwei Tage vorher war meine Frau mit unseren Söhnen - damals 17 und 15 Jahre alt - nach Lauenburg gefahren, um mit den Menschen vor Ort die offene Grenze zu feiern.

Auch ich wollte an diesem einmaligen Ereignis teilhaben, wollte den ersten Sonntag nach der Maueröffnung hautnah selbst erleben. Deshalb machte ich mich umgehend auf den Weg zurück in die Hamburger City, diesmal mit der S-Bahn. Gedränge schon auf dem Bahnsteig, im Zug Gedränge.

In der Bahn begann ich bald ein Gespräch mit einem jungen Ehepaar, das mit seinen beiden Kindern aus Warnemünde angereist war. "Schon bei der Anfahrt war uns empfohlen worden, das Auto am Stadtrand stehen zu lassen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen", erfuhr ich von dem Mann, der gleich hinzufügte: "Wir waren lange unentschlossen, ob wir überhaupt fahren sollten, haben uns dann aber doch dafür entschieden." Seine Frau ergänzte: "Wir wissen ja auch gar nicht, wie lange die Grenze geöffnet bleibt. Und die Chance, einmal in den Westen zu fahren, wollten wir uns auf gar keinen Fall entgehen lassen." Präziser lässt sich die Unsicherheit der Menschen in dieser aktuellen Situation kaum umschreiben.

Vom beschaulichen Warnemünde im Osten in die Metropole Hamburg im Westen - was für ein Kontrast! Die Unsicherheit der Gäste in diesem ungewohnten Umfeld war auf Schritt und Tritt zu spüren. Mein Angebot, sie in dieser fremden Umgebung "an die Hand zu nehmen" und herumzuführen, nahmen sie deshalb gern an. Ich war - zugegeben - ein wenig stolz, die Besucher auf ihrem ersten Spaziergang durch diese schöne Stadt begleiten zu können. Abgesehen von meinen erläuternden Hinweisen wurde auffallend wenig gesprochen. Zu überwältigend waren wohl die Eindrücke auf diesem ersten Rundgang im Westen. Bilder, die mir im Gedächtnis blieben: die scheinbar unendliche Schlange von Menschen, die am Hühnerposten für ihr Begrüßungsgeld anstanden, und die unübersehbare Zahl von Trabis, deren Fahrer jede noch so kleine Fläche zum Parkplatz umfunktionierten, auch vor dem gelben Gebäude des Automuseums, das damals noch in der Nähe war. Hat es in der Hamburger City je wieder einen Tag mit so vielen Falschparkern gegeben?

Am Ende unseres Rundgangs ließen sich die Gäste zu Würstchen und Cola an einem Stand am Jungfernstieg überreden. Sie waren dankbar für die Begleitung, vor allem aber zufrieden darüber, dass sie das Wagnis dieser Tagesreise eingegangen waren. Auch ich war zufrieden, weil ich für ein paar Stunden ein historisches Ereignis miterlebt hatte. Zum Schluss tauschten wir dann unsere Adressen aus, um uns später gegenseitig zu besuchen.

Klaus Harbs, 71, aus Reinbek, war Geschäftsführer der Handelskammer Hamburg