Das Märchen vom Wachstum

16./17. Mai: Kindernachricht "Wie wächst die Wirtschaft?"

Als Großvater von drei Enkelkindern lese ich gern die Kindernachrichten. Bei dem Artikel über das Wirtschaftswachstum, das Sie sehr gut erklärt haben, vermisse ich allerdings die negativen Seiten. Nur Gutes im Wachstum zu sehen, halte ich für fragwürdig.

So habe ich schon vor Jahren das "Märchen vom ewigen Wachstum" geschrieben:

Es war einmal ein hoher Minister eines reichen Landes, der den Wunsch des Königs nach immer mehr Wachstum trotz eines Wachstumsbeschleunigungsgesetzes nicht erfüllen konnte. Eines Nachts erschien dem ratlosen Minister eine gute Fee und sagte zu ihm: "Weil du deinen König so sehr liebst, hast du einen Wunsch frei."

Da überlegte der Minister nicht lange und wünschte sich ewiges Wachstum, um seinem König zu gefallen und Minister zu bleiben.

Und so kam es, dass schon am Tag darauf das ewige Wachstum begann. Alle Bäume im Lande wurden immer größer und wuchsen in den Himmel. Auch alle Kräuter und Pilze wurden größer und größer und hörten nicht auf zu wachsen, ebenso wie das Korn der Bauern. Sobald man nun die Bäume fällte, wuchsen diese schnell wieder nach. Dasselbe geschah mit den Kräutern und Pilzen und dem Korn der Bauern.

Der Minister brauchte auf Grund des ewigen Wachstums immer mehr Holzfäller, Zimmerleute, Bauern und Müller. Es gab keine Arbeitslosen mehr, der Handel florierte, und das Geld sprudelte.

Der König war darob hochzufrieden und ernannte den Minister zum Superminister. Da immer mehr Holz anfiel, ordnete der Superminister den Bau von Holzstraßen, Holzschlössern und ganzen Holzstädten an.

Gleichzeitig wuchsen alle Pflanzen ins Gigantische und verwandelten weite Teile des Landes in einen undurchdringlichen Dschungel, gegen den die Bewohner mit ihren Sensen und Sicheln nahezu machtlos waren. Die Bauern ernteten gewaltige Getreidemengen, die sie pausenlos zu den Mühlen brachten, wo die Müller bis zur Erschöpfung das Korn mahlten.

Schließlich gaben alle auf: Die Holzfäller und Zimmerleute waren am Ende ihrer Kräfte, die Bauern drohten am Korn zu ersticken, die Windmühlen liefen heiß und gerieten in Brand, und die Kräuter- und Pilzsammler verirrten sich im Pflanzendschungel und kamen darin um.

Da erschien dem Superminister erneut die gute Fee, und er klagte ihr sein Leid: "Ich habe großes Unglück über das Land gebracht und will dafür büßen." Da sagte die gute Fee: "Du kannst das ewige Wachstum nur stoppen, wenn du bereit bist, selbst zu wachsen."

Als der Minister das vernahm, wuchs er über sich selbst hinaus und willigte ein, und von Stund an schrumpften alle Wälder und Pflanzen wieder auf ihre normale Größe, und alle Menschen im Lande atmeten auf und waren froh.

Nur der Superminister machte seinem Namen alle Ehre und wurde größer und größer, und wenn er nicht gestorben ist, dann wächst er noch heute...?

Hellmut Rucks, Ahrensburg

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