Abendblatt-Schreibwettbewerb: Leser Karl-Heinz Föste über seine Heirat und die zweier Staaten

Das Frühjahr 1989 ließ gewaltige Umbrüche ahnen, als am 26. März Reformer in der UDSSR in freien Wahlen an die Macht kamen und Ungarn am 2. Mai damit begann, Stacheldrahtzäune an der Grenze zu Österreich abzubauen. Ach ja. Und im Mai 1989 heirateten meine Frau und ich.

Wir machten uns auf nach Berlin. Es war nicht unsere eigentliche Hochzeitsreise, denn wir wollten noch im September für vier Wochen in die USA. Nun aber stand Berlin an. Ein wenig Sightseeing, Shoppen und ein Abstecher in den Osten der Stadt. Wir kannten das bereits von früher: Düster dreinblickende Grenzer, das Grau der Friedrichstraße, Einschusslöcher in den Seitenstraßen, der Blick zum Westen, wo Wessis von einer Aussichtsempore den eingesperrten Osten begafften. Ich bekam eine Ahnung davon, wie DDR-Bürger sich fühlen mussten: wie Tiere im Zoo. Berlin hinterließ viele schöne, aber auch gemischte Erinnerungen an die erste Woche als Ehepaar.

Dann kam Gorbatschow nach Westdeutschland und eroberte die Herzen im Sturm. Am 8. August wurde die Ständige Vertretung in Berlin geschlossen, als dort 131 DDR-Flüchtlinge Asyl fanden. Die Balten demonstrierten für Unabhängigkeit. Botschaftsflüchtlinge in Budapest durften ausreisen. Und am 11. September flüchteten 10 000 Ostdeutsche über Ungarn in den Westen. Eine gewaltige Spannung zwischen Bangen und Hoffen lag über dem Kontinent. Wir indes flogen am 16. September nach Los Angeles. Unsere zweite Hochzeitsreise begann.

Das "land of the free" begrüßte uns mit Regen und ebenfalls strengen Grenzern. Wir mieteten einen Wagen und fuhren zum Strand und dann nach Hollywood. Palmen säumten die Straßen und die Freeways trugen uns durch einen wahr gewordenen Traum nach Disneyland und Palm Springs. Chromglänzende Trucks blendeten uns. Wir erlebten, wie unglaublich Wüstenlandschaften sind. Einen größeren Kontrast zur Nachrichtenlage daheim konnte es kaum geben. Das Gefühl von Freiheit und Abenteuer begleitete uns zum Grand Canyon und nach Las Vegas. In Prag durften währenddessen 6299 DDR-Bürger nach einem Jubelschrei ausreisen. Wir fuhren weiter durch diesen Traum von einer Hochzeitsreise. Das Yosemite-Valley mit schönsten Gebirgskulissen, Wasserfällen und Mammutbäumen ließ uns staunen. Im Westen wartete San Francisco. Wir fuhren Cable Car, sahen die Golden Gate Bridge. In einem Park beglückwünschte uns ein Exil-Ukrainer. Er sagte einen Umbruch des gesamten Ostens voraus.

Fern der Heimat kam mir dieses Intermezzo ein wenig skurril vor, aber auch andere Menschen sprachen uns an: "Might be a little bit crowded, when you get back to Germany", hörte ich von einem älteren Herrn. Es war scherzhaft gemeint, aber mir wurde bewusst, was alles auf der Kippe stand.

Wir näherten uns dem Ende der Reise. Nebel nahm uns die Sicht auf den Highway One. Dafür bekamen wir mit, dass die DDR ihren 40. Jahrestag beging und Tage später in Leipzig der Ruf "Wir sind das Volk" erschallte. Back in Germany ging der Alltag weiter. Aber nichts war mehr wie zuvor. Am 9. November brachten die Bilder von Menschen auf der Mauer erlösende Tränen. Tränen der Freude. Sie bleiben so unvergessen wie zwei Hochzeitsreisen und die Hochzeit zweier Staaten.