Erst fand er es schrecklich. Dann war er fasziniert und verliebte sich: Der “Stern“-Fotograf erlebte in Ost-Berlin seine aufregendste Zeit.

Bad Oldesloe. 1977 ging Harald Schmitt nach Ost-Berlin. Sechs Jahre arbeitete und wohnte er jenseits der Grenze und lernte so das System von innen kennen: Er wurde bespitzelt, erlebte die ersten Friedensdemonstrationen, verliebte sich in eine "gelernte DDR'lerin" und ging mit Erich Honecker auf Afrika-Reise. Das Abendblatt sprach mit Harald Schmitt über die "aufregendste Zeit" in seinem Leben. Heute Abend zeigt er seine Bilder in Bad Oldesloe.

Hamburger Abendblatt: Gibt es noch "Ossis" und "Wessis"?

Harald Schmitt: Ja. Wir merken das vor allem auf Rügen, wo wir ein Häuschen haben und Kontakt zu den Alteingesessenen. In deren Köpfen hat sich wenig geändert. Bei der jungen Generation wächst sich das zum Glück raus.

Was ist denn ein typischer Ossi?

Schmitt: Im Westen sagen viele: Die im Osten sind faul. Die haben wir durchgeschleppt. Und jetzt geht es denen besser als uns. Dabei wird vergessen, dass der Solidaritätszuschlag auch im Osten gezahlt wird. Außerdem verdienen die Menschen dort viel weniger. Und die Preise in den Supermärkten und für Benzin sind zum Teil höher als bei uns.

Und umgekehrt?

Schmitt: Ein Wessi sei einer, der gern das Maul aufreißt und alles besser weiß. Dabei weiß ich aus Erfahrung, dass die Ausbildung in der DDR allgemein besser war. Im Westen haben viele ihre leitenden Positionen über die politische Schiene gekriegt. In der DDR waren die Betriebsleiter meistens wirkliche Fachleute. Der zweite Mann war dann einer, der für die Rotlichtbestrahlung sorgte, also für das Einschwören auf den Sozialismus. Oft ehemalige Militärs.

Verbreiteten die Angst?

Schmitt: Diese Typen hatten natürlich Einfluss. Aber Angst? Die Arbeiter hatten ein anderes Selbstbewusstsein. Sie haben sich ihren Abteilungsleiter auch schon mal zur Brust genommen. Man konnte ja nicht entlassen werden. Während hier kaum einer aufmuckt.

Hat sich das geändert?

Schmitt: Natürlich. Weil jetzt alle Angst haben, ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Da sind sie im Osten jetzt auf West-Niveau angekommen.

Wollten Sie unbedingt in die DDR?

Schmitt: Nein. Ich bin 1973 im Auftrag der Fotoagentur von Sven Simon das erste Mal zu den Weltjugendspielen nach Ost-Berlin gefahren. Ich fand das ganz entsetzlich. Dieses aufgesetzte Fröhlichsein. Da durfte man am Brunnen am Alexanderplatz Gitarre spielen. Und einen Tag später wurden die Jugendlichen wieder weggejagt. Es veränderte sich durch solche Begegnungen nichts. Ich wollte da nie wieder hin.

Dann kam ein Anruf vom Stern.

Schmitt: Ja. 1977. Alle wollten damals beim Stern arbeiten. Ich auch. Und als es hieß: Sie müssten aber in die DDR gehen, habe ich keine zehn Sekunden nachgedacht. Im Nachhinein bezeichne ich diese Zeit als die aufregendste in meinem Leben.

Was war ihr einprägsamstes Erlebnis in den sechs Jahren in der DDR?

Schmitt: Der erste Friedensgottesdienst in Dresden 1981. Es ging erstmalig um die Losung, Schwerter zu Pflugscharen zu machen. Die Kreuzkirche war voll mit jungen Leuten. So etwas hatte ich noch nie gesehen. Ich war oft bei Demonstrationen in Kreuzberg gewesen, da wurden Automaten aufgebrochen und Supermärkte geplündert. Aber diese jungen Leute hier waren ernsthaft. Sie wollten einen anderen Sozialismus, nicht den der Ulbrichts und Honeckers.

Was haben Sie in dem Moment gedacht, wohin das führen würde?

Schmitt: Wenn dieses Saatkorn aufgeht, wird es eine riesige Veränderung geben. 1986 habe ich mit meinem Schwager gewettet, dass in zehn Jahren alles vorbei ist. Er hat gesagt: Spätestens in fünf Jahren, das Ding geht hoch. Schon drei Jahre später war es soweit.

Sie haben in ihrer Zeit in der DDR auch Erich Honecker kennengelernt.

Schmitt: Ja, bei der Parade zum 1. Mai. Ich glaube, er war wirklich davon überzeugt, dass es seinen DDR-Bürgern gut geht. Immer schien die Sonne. Und alle haben gejubelt. Erich Mielke, der Minister für Staatssicherheit, wusste, wie die Bevölkerung wirklich dachte. Aber er konnte seinem Chef ja unmöglich sagen: Ich habe die nicht im Griff. Und ich war dabei, als Honecker 1979 nach Sambia reiste. Da er dachte, ich gehöre zur ADN, also zur DDR-Nachrichtenagentur, stellt er sich zwischen schwarze Muttis und sagte zu mir: Knips doch mal. Und dann sein Hütchen! Er war plötzlich ganz anders, gelöster. Es wurde eine Positiv-Geschichte. So wie Erich da in Schwarz-Afrika auftrat und im Rolls Royce fuhr, wirkte er richtig sympathisch.

Und seine Frau, Margot Honecker?

Schmitt: Schrecklich, gefühllos. Total verbohrt. Sie hat gesagt, wo es langgeht. Und Erich hat gemacht.

Sie wurden von der Stasi bespitzelt. Wussten Sie das?

Schmitt: Ja, die Sicherheitsleute sind unverkennbar. Zum einen gucken sie immer in die andere Richtung oder auf die Hände. Damit sie sehen, was man in der Hand hat, eine Waffe zum Beispiel. Und außerdem fuhren die Lada 1500, den mit vier Lampen und drei Leuten. Der Dritte saß immer hinten rechts. Da wusste man sofort Bescheid. Manchmal sind wir aus Spaß Autorennen gefahren. Die konnten mir ja nichts.

Sogar ein enger Freund hat sie bespitzelt.

Schmitt: Ja, wir ahnten das und haben ihm nach der Einsicht in die Akten gesagt, dass er fair gewesen sei und viel weniger berichtet habe, als er wusste. Wir fanden ihn sympathisch. Wir grollen ihm auch jetzt nicht. Im Grunde hat er uns geschützt.

Aber es war nicht alles harmlos.

Schmitt: Nein, einmal habe ich eine sehr böse Erfahrung gemacht. Da hat mich jemand auf eine ganz linke Art reingelegt. Er erzählte mir, dass seine Freundin Arbeit brauchte. Wir haben sie dann bei uns putzen lassen. Und sie hat der Staatssicherheit prompt gemeldet, dass sie jetzt das Vertrauen von uns gewonnen habe und bat um Instruktionen. Sie hat die Stasi auch in unsere Wohnung gelassen, wenn wir nicht da waren. Dabei wurden Reproduktionen von meinen Fotos gemacht. Zum Glück habe ich das erst später aus den Akten erfahren.

Haben sie aus Ihrer Zeit in der DDR eine Erkenntnis gewonnen?

Schmitt: Vielleicht, dass man für den anderen da sein sollte. In der DDR war die Solidarität ja befohlen. Aber der Zusammenhalt war anders, allein durch die Mangelwirtschaft. Mich hat mal jemand gefragt: Brauchst Du Marmorplatten? Ich habe gefragt: Wozu denn? Na zum Tauschen, kam die Antwort.

Was ist denn bei der Wiedervereinigung gut gelaufen und was nicht?

Schmitt: Von der DDR ist nichts mehr übrig geblieben. Sie wurde vom Westen vereinnahmt. Das war nicht moralisch, was da passierte. Aber es gab keine Alternative. Es musste schnell gehen. Ich habe immer gesagt: Überleben wird nur der Grüne Pfeil an den Ampeln. Und so ist es. Wenn sich Leute die DDR zurückwünschen, dann deswegen, weil es da gemütlicher war. Man musste nicht selbst nachdenken. Es gab von jeder Sache nur eins, wenn überhaupt. Das Leben war überschaubarer.

Aber warum kam die Wende 1989?

Schmitt: Der Zeitpunkt war wohl eher ein Zufall. Der berühmte Zettel von Schabowski spielte eine Rolle. Ähnlich lief es bei Gorbatschow. Eigentlich wollte er den Sozialismus retten. Die Wende war nicht sein Plan. Aus Sicht der Russen ist er gescheitert. Aber er hat früh gesehen, dass Veränderungen nötig sind und nicht auf die DDR-Bürger einschlagen lassen. Ich war am 9. November 1989 beim Tauchen in Ägypten. Als ich meine Frau anrief, sagte sie zu mir: Die tanzen auf der Mauer. Ich habe das erst gar nicht verstanden. Aber das Bild hätte ich gerne fotografiert.

Und Ihr persönliches Wendejahr?

Schmitt: Das war 1979. Als ich meine Frau kennenlernte. Eine gelernte DDR-Bürgerin. Ich wollte in einem Museum Berliner Eisen-Kunstguss fotografieren und fragte nach einer Frau mit schönen Händen, damit sie die Stücke vor die Kamera halten konnte. Da wurde Annette gerufen. Ein Jahr später habe ich mich an die sympathische Blonde erinnert. Und da sie in der Zwischenzeit nicht bei mir angerufen hatte, wusste ich auch, dass sie nicht als Spitzel auf mich angesetzt war. Wir sind seit 30 Jahren verheiratet.