Ahrensburger für Disziplinarverfahren im Missbrauchsskandal. Damalige Pröpstin: “Mehr als 40 Personen informiert“

Ahrensburg. Mit für Kirchenverhältnisse überraschend deutlichen Worten hat der Vorstand der Ahrensburger Kirchengemeinde jetzt die Entscheidung des Bischofs Gerhard Ulrich kritisiert, kein Disziplinarverfahren gegen die ehemalige Pröpstin Heide Emse einzuleiten. In einer Pressemitteilung heißt es: "Wir können nicht verstehen, warum die Möglichkeiten, mit einem Disziplinarverfahren für mehr Klarheit unter den damaligen Verantwortlichen zu sorgen, nicht genutzt wird. Wir können nicht zufrieden sein, dass Menschen hier in Ahrensburg und anderswo, besonders die Opfer sexueller Gewalt, die noch heute unter den Folgen leiden, das Gefühl haben, weiterhin auf klare und klärende Worte seitens unserer Kirche warten zu müssen."

Der Bischof hatte am Mittwoch, 18. Mai, auf einer Pressekonferenz die Ergebnisse von externen Ermittlungen im Fall des ehemaligen Pastors Gerd Kohl bekannt gegeben. Kohl hatte in den Achtziger- und Neunzigerjahren in der Kirchengemeinde Kirchsaal Hagen in Ahrensburg vornehmlich Jungs, aber auch Mädchen sexuell missbraucht. 1999 wurde Kohl auf Betreiben der damaligen Pröpstin Heide Emse versetzt. Strittig ist, ob Emse damals den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an das Kirchenamt weitergeleitet hat. Unterlagen zum Fall Kohl sind nicht mehr vorhanden.

Bischof Ulrich hat deshalb auf der Pressekonferenz von "Mängeln in der Dienstaufsicht" gesprochen. Die habe es sowohl auf der Kirchenkreisebene in Stormarn als auch im Kirchenamt in Kiel gegeben. Der externe Gutachter, ein Kieler Anwalt, hatte deshalb empfohlen, ein Disziplinarverfahren gegen Heide Emse einzuleiten. Aber die Kirchenleitung hat anders entschieden.

Mittlerweile hat sich auch Heide Emse zu Wort gemeldet. "Mein Fehler bestand darin", schreibt sie, "dass ich, nachdem ich im Jahr 1999 von Anschuldigungen über Vorfälle erfahren hatte, die weit vor meiner Amtszeit lagen, diese dem Kirchenamt nicht schriftlich weitergegeben habe." Sie habe damals das Kirchenamt aber "unverzüglich" telefonisch über die Anschuldigungen gegen Kohl informiert.

Wer alles wusste damals in Ahrensburg, warum Kohl versetzt wurde? Diese Frage sorgt seit Monaten für Diskussionen in der Kirchengemeinde. Folgt man Emse, ist der Kreis der Mitwisser groß gewesen. Sie habe damals den Ahrensburger Kirchenvorstand und den Kirchenkreisvorstand Stormarn informiert - "insgesamt mehr als 40 Personen". Gegenüber der Öffentlichkeit wurde die Sache gleichwohl vertuscht. "Pastor Gerd Kohl verlässt nach 26 Jahren den Bezirk Hagen und startet in der Gefangenenseelsorge neu durch", vermeldete die Ahrensburger Zeitung am 21. September 1999. Er werde "in einem Projekt, das die Kirche gemeinsam mit der Landesregierung plant, von Neumünster aus Gefangene betreuen und dafür ein Konzept entwickeln". Zur Begründung für seinen Wechsel sagt Kohl: "Ich habe mir überlegt, wie ich meine letzten Berufsjahre verbringen möchte und wo ich noch etwas tun kann." Eine Darstellung, der von Kirchenseite niemand widersprach.

Emse sagt heute, das Kirchenamt habe ihr gegenüber von einer Versetzung in eine "Schreibtischtätigkeit" gesprochen. Emse wörtlich in ihrer Erklärung: "Erst ein Jahr später erfuhr ich, dass Herr Kohl nicht einer Schreibtischtätigkeit nachgehe, sondern im Jugendstrafvollzug tätig sei."

Warum das Kirchenamt damals kein Disziplinarverfahren gegen Kohl eingeleitet hat, bleibt unklar. Emse sagt: Die Anschuldigungen seien "durchaus glaubhaft" gewesen, die Klärung sei "einem ordnungsgemäßen Disziplinarverfahren" vorbehalten gewesen. Dazu ist es nie gekommen.

Warum das so ist, würde Anselm Kohn, Vorsitzender des Vereins "Missbrauch in Ahrensburg", gern wissen. Für Emses Erklärung hat er durchaus Sympathien. Allerdings hat er den Eindruck, dass es der Kirche damals vornehmlich darum ging, den Täter zu schützen: "Um die Seelen der Missbrauchten hat sich keiner gekümmert."