Die Kirche will offenlegen, warum sich ein Pastor jahrelang an Jugendlichen vergehen konnte. Offene Fragen sollen beantwortet werden.

Ahrensburg. Seit dem 19. Mai 2010 ist in der nordelbischen Kirche nichts mehr, wie es war. "Ermittlungen gegen den Ahrensburger Pastor Gert-Dietrich Kohl wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs": Mit dieser Nachricht wurde vor knapp einem Jahr ein Skandal öffentlich, der bald darauf zum Rücktritt der damaligen Bischöfin Maria Jepsen führte, eine Vielzahl weiterer Ermittlungen zur Folge hatte und die Kirche bis heute schwer belastet.

Am kommenden Mittwoch nun, am 18. Mai, will Bischof Gerhard Ulrich der Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz mitteilen, was der externe Gutachter, ein Kieler Anwalt, ermittelt hat und welche Konsequenzen die Kirche daraus zieht. Dies bestätigte gestern ein Kirchensprecher, dies geht auch aus einem Schreiben von Ulrich an das Missbrauchsopfer Anselm Kohn hervor, den Stiefsohn des Pastors, das dieser Redaktion vorliegt. "Mir liegt sehr viel daran, Ihnen als unmittelbar Betroffenen die Ergebnisse des Gutachtens persönlich vorzustellen und darüber ins Gespräch zu kommen", heißt es da. Die Öffentlichkeit solle am 18. Mai informiert werden, das "vertrauliche und persönliche Gespräch" solle am Vorabend stattfinden. Ulrich schreibt weiter: "Ich habe zu diesem Gespräch auch alle anderen vom sexuellen Missbrauch durch den ehemaligen Pastor Kohl Betroffenen, soweit sie mir bekannt geworden sind, eingeladen."

Bei den Betroffenen stößt dieses Angebot offenbar mehrheitlich auf Ablehnung. Sie wollen die Einladung nicht annehmen. Anselm Kohn, Vorsitzender des Vereins Missbrauch in Ahrensburg, wirft der Kirche "einen weiteren Missbrauch unserer Personen und Leidensgeschichten" vor. "Die Betroffenen, die eingeladen sind, kennen sich doch teilweise untereinander gar nicht", sagt Kohn. "Wie soll da ein vertrauliches Gespräch zustande kommen?"

Wie viele Personen vom Bischof Ulrich eingeladen worden sind, war gestern nicht zu erfahren. Kohn selbst spricht von rund zwölf Einladungen, die ihm bekannt seien - Menschen, die mit seinem Verein verbunden seien. "Aber es gibt auch Opfer, die keinen Kontakt mit uns wollen", so Kohn. Wer bei dieser Veranstaltung auf wen treffen würde, sei also höchst unklar.

Klar ist immerhin, wer von Kirchenseite dabei ist. Neben Ulrich sind das die Pröpste Jürgen Bollmann, Hartwig Liebich und Ulrike Murmann, das Mitglied der Kirchenleitung Annette Pawelitzki und der Kirchenleitungsreferent Mathias Lenz. Lauter Menschen, die vielen Betroffenen unbekannt sein dürften. Dennoch wünscht sich Ulrich, "dass es zu einer wirklich persönlichen Begegnung kommt, bei der auch kritische und differenzierende Töne gehört werden können".

Gert-Dietrich Kohl, kurz Dieter genannt, war von 1973 bis 1999 Pastor im Kirchsaal Hagen. Er hatte öffentlich eingestanden, in den Siebziger- und Achtzigerjahren Jugendliche missbraucht zu haben - zumeist Jungen, manchmal auch Mädchen. Ein Teil seiner Taten fand in der Familie statt: Kohl hatte eine Frau mit fünf Söhnen geheiratet, die er in der Kirchengemeinde kennengelernt hatte. Drei dieser Brüder missbrauchte er. 1989 trennte sich das Ehepaar. Erst 1999 gab es Konsequenzen für Kohl. Die Pröpstin Heide Emse wurde von einem weiblichen Opfer über den Missbrauch informiert. Der Pastor wurde daraufhin versetzt. Im vergangenen Dezember schickte Kohl ein Schuldeingeständnis und bat um seine Entlassung aus dem Kirchendienst. Strafrechtlich konnte gegen ihn nicht vorgegangen werden. Alle Taten waren verjährt.

Eine Reihe von Fragen sind bis heute offen. Wie viele Opfer von Kohl haben sich insgesamt gemeldet? Hat die Pröpstin Heide Emse die Ursache für die Versetzung vertuscht? Wann hat Pastor H., der Kollege von Kohl, von dessen sexuellen Übergriffen erfahren? Warum hat er nichts unternommen?

Gegen H. läuft ein innerkirchliches Disziplinarverfahren. Im August hatte er eingeräumt, in den Achtzigerjahren intime Beziehungen zu einer 17- und einer 18-Jährigen gehabt zu haben. Missbrauch sei das nicht gewesen, behauptet er. Der Verein "Missbrauch in Ahrensburg" wirft ihm genau das vor. Für den Verein sind die beiden Pastoren Menschen, die von ihren Taten gewusst und die sich gegenseitig gedeckt haben. H. hat mittlerweile Strafanzeige gegen den Vorstand des Vereins erstattet.

Ob bei der Pressekonferenz am Mittwoch auch zu erfahren sein wird, was das Disziplinarverfahren gegen H. ergeben hat, ist unbekannt. Anselm Kohn will aber auf jeden Fall dabei sein, wenn die nordelbische Kirche versucht, den schwersten Missbrauchsfall ihrer Geschichte aufzuarbeiten. Noch weiß er nicht, wo die Kirche diese Pressekonferenz abhalten will. Die Einladungen sollen heute verschickt werden. "Mein Auto ist vollgetankt", sagt Kohn.