Landgericht Lübeck spricht mildes Urteil gegen 49-Jährigen, der sich mehrfach an Zwölfjährigen verging

Reinfeld/Lübeck. Der Mann mit dem schütteren schwarzen Haar verzerrt das Gesicht, er schluchzt und weint. Ist es Reue, die der Angeklagte zeigt? Die Richter am Lübecker Landgericht sind davon überzeugt. Sie sprechen ein mildes Urteil gegen Antonio L., 49, (alle Namen geändert), der einen zwölf Jahre alten Jungen mehrfach sexuell missbraucht hat. Zwei Jahre auf Bewährung lautet die Sanktion gegen den Italiener, der in einem 460-Seelen-Dorf bei Reinfeld lebt.

Der 49-Jährige lockte vor rund neun Jahren Sven B. mit Geschenken und Geld in seine Wohnung und gab ihm Alkohol. Dann drängte er den Jungen zum Geschlechtsverkehr, filmte diese Szenen sogar. Die Staatsanwaltschaft forderte für dieses Verbrechen eine Freiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Doch die Richter der VII. Großen Strafkammer folgten dem Antrag des Verteidigers. Zudem verhängten sie eine Geldstrafe von 1200 Euro, die L. an eine Hilfsorganisation zahlen muss, die sich für Kinder in Not einsetzt.

In der Urteilsbegründung heißt es: Zwar mochte B. nicht, was mit ihm gemacht wurde. Doch er habe das Unangenehme für die Geschenke und das Geld in Kauf genommen. Daher wiege das Vorgehen des Angeklagten laut der Vorsitzenden Richterin Helga von Lukowicz nicht so schwer, wie Taten, bei denen Kinder von ihren Eltern missbraucht werden. Anders als in dem angeklagten Fall könnten sich Kinder jenen Situationen nicht entziehen.

Strafmildernd hat sich für Antonio L. auch ausgewirkt, dass die Taten lange zurück liegen und er geständig war. Die Bewährung begründete die Richterin auch damit, dass die Sozialprognose günstig sei. Antonio L. arbeitet seit rund 20 Jahren als Produktionshelfer in einem Ahrensburger Betrieb und ist Betriebsratsmitglied. Außerdem ist L. Vorsitzender eines Kleingartenvereins. Ein vom Gericht bestellter Gutachter stellte fest, dass Antonio L. schuldfähig sei und keine relevanten seelischen Störungen habe. Auch sei L. nicht pädophil. Der 49-Jährige bezeichnet sich selbst als bisexuell. Er fühle sich zu Männern und älteren Frauen hingezogen.

Seit 1993 ist Antonio L. mit den Eltern von Sven B. befreundet. Der Italiener wohnte mit seinem damaligen Lebensgefährten in einem Oldesloer Hochhaus, Tür an Tür mit der vierköpfige Familie B. Sohn Sven ist damals drei Jahre alt. Als die Beziehung zu seinem Freund zerbricht, findet L. Halt bei seinen Nachbarn. Frank B., Vater des Opfers, wird später vor Gericht sagen, dass L. wie ein Familienmitglied war. Als die Eltern 2001 mit Sven und seiner Schwester nach Reinfeld ziehen, sucht sich auch der Italiener dort eine Wohnung. "Die Eltern haben mir vertraut. Als Sven zwölf Jahre alt war, durfte er bei mir übernachten", sagt L. Bereits in der ersten Nacht bedrängt er den Jungen, gibt ihm Alkohol und zeigt ihm Pornofilme. Er streichelt B. im Intimbereich, bis dieser erregt ist oder übt an ihm Oralverkehr aus. Dann fordert er den Jungen auf, in ihn einzudringen.

In den nächsten eineinhalb Jahre wiederholt sich dies immer wieder. Das Gericht geht "zu Gunsten des Angeklagten" von vier Taten aus. Eine Vergewaltigung läge nicht vor, da der Täter nie in den Jungen eingedrungen sei, sondern umgekehrt. Zudem sei keine Gewalt ausgeübt worden. Auch soll das Opfer nie gesagt haben, dass es nicht wolle.

"Ich war damals noch so jung, wusste überhaupt nicht, was mit mir passiert", sagt der heute groß gewachsene und schlanke Oldesloer, 21, mit dem auffälligen silbernen, mit Steinen besetzten Ohrstecker. Erst als Sven B. älter wurde, sei ihm der Missbrauch bewusst geworden. Obwohl er sich schämt, schläft er regelmäßig bei L. Denn sein Peiniger kauft ihm Klamotten, fährt mit ihm in den Hansa-Park und gibt ihm jeden Monat Geld.

Als Sven 14 Jahre alt ist, möchte er nicht mehr zu seinem Peiniger. Antonio L. sucht sich ein neues Opfer: Einen Freund von Sven, im gleichen Alter, der im Oldesloer Kinderheim lebt. L., der selbst bis zu seinem zehnten Lebensjahr in einem italienischen Heim lebte, gibt zu, auch mit diesem Jungen Geschlechtsverkehr gehabt zu haben. Doch dieses Verfahren ist eingestellt worden. Begründung: "Liegen zwei Fälle vor, besteht die Möglichkeit, nur den schwerwiegenderen Fall anzuklagen", erklärt der Staatsanwalt.

Als Sven 16 Jahre alt ist, erzählt er seiner Mutter, was passiert war. Doch die Mutter glaubt ihm nicht. Auch der Vater meint, er habe sich dies nur ausgedacht, obwohl Frank B. selbst in dieser Zeit eine sexuelle Beziehung zu dem Italiener pflegte. Antonio L. sagte vor Gericht, dass er und Frank B. oft weitere Sexualpartner einluden und regelrecht Orgien feierten. Im vergangenen Jahr erstattete Sven B.s Freund Anzeige gegen L. Danach traut sich auch der Oldesloer zur Polizei. Das Erlebte ist dem 21-Jährigen heute nicht anzusehen. Er habe laut Gericht auch keine Folgeschäden, er pflege normale Liebesbeziehungen zu Frauen.