Der Verfassungsschutz diagnostiziert erstmals “lose rechtsextremistische Strukturen“

Bargteheide. Die Aktivitäten von Neonazis im Kreis Stormarn nehmen zu. Zu diesem Schluss kommt der Verfassungsschutz in seinem aktuellen Jahresbericht. "Nachdem der Kreis lange Jahre zu einer der schleswig-holsteinischen Regionen gehörte, die unterdurchschnittlich von rechtsextremistischen Bestrebungen betroffen waren, konnten 2010 erstmals lose rechtsextremistische Strukturen festgestellt werden", heißt es in dem jetzt vorgelegten Papier.

Was sind "lose Strukturen"? In der Welt des Verfassungsschutzes ist das eine feststehende Redewendung, mit der lockere Verbindungen von Personen oder Gruppen gemeint sind, die irgend wann in eine "feste Struktur" münden könnten. "Das wären dann Parteiorganisationen oder Vereinigungen", sagt Thomas Giebeler, der Pressesprecher des Innenministeriums in Kiel.

So weit ist es in Stormarn noch nicht. Dennoch ist eine deutliche Verschlechterung der Lage festzustellen. Der Verfassungsschutzbericht spricht von zunehmenden Konflikten zwischen links- und rechtsorientierten Jugendlichen. Und nennt dafür als Beispiel zwei Bargteheider Ereignisse. Am 29. Mai vergangenen Jahres hatten zwölf vermummte, vermutlich linksextremistische Jugendliche auf acht Neonazis eingeschlagen und vier von ihnen verletzt. Unter anderem wurde einem der Opfer ein Messer in den Rücken gestoßen.

Als Reaktion darauf organisierten die Rechten am 19. Juni eine "Mahnwache" vor dem Bargteheider Stadthaus. Motto: "Gegen linke Gewalt". Ein Lübecker hatte die Veranstaltung angemeldet. Fazit des Verfassungsschutzes: "Bekannte Rechtsextremisten nutzten die Gelegenheit, um diesen regional begrenzten Konflikt für ihre Zwecke zu nutzen." Doch diese beiden Ereignisse, über die damals auch in den Medien berichtet wurde, sind offenbar nur die Spitze des Eisbergs. "Der Verfassungsschutz trifft seine Einschätzung der Lage natürlich nicht nur auf Basis von öffentlichen Ereignissen", sagt Thomas Giebeler. "Dazu kommen weitere Erkenntnisse, die auch geheimdienstlicher Natur sind."

In Bargteheide ist man wenig erfreut darüber, im Verfassungsschutzbericht erwähnt zu werden. Bürgermeister Henning Görtz ist der Meinung, dass seine Stadt die richtige Reaktion gezeigt hat. Nach der Mahnwache der Neonazis gab es eine Bürgerdemo gegen Rechts. "Das war eine tolle Sache", sagt Görtz. "Wir haben gezeigt, dass die Rechtsradikalen hier nichts zu suchen haben. Danach sind sie hier nicht mehr offen aufgetreten." Und auch Karsten Witt, der Leiter der Polizeizentralstation Bargteheide, sagt: "Seitdem haben wir hier solche Ereignisse nicht mehr gehabt."

Insgesamt hat die Zahl rechtsextremistisch motivierter Straftaten in Stormarn leicht zugenommen. 2009 waren es 48, 2010 waren es 51, darunter zwei Gewalttaten. Landesweit sind die Zahlen hingegen deutlich rückläufig. 768 Straftaten gab es 2009, im vergangenen Jahr waren es 660.

Bei den Linksextremen hat der Verfassungsschutz erneut eine "hohe Gewaltorientierung" festgestellt. 2010 wurden 231 Straftaten registriert, davon 64 Gewaltdelikte. Auch Stormarner Linksextreme haben dazu beigetragen. Im vergangenen Jahr wurden hier 15 Straftaten gezählt, davon fünf Gewaltdelikte.

Wer im Mai 2010, am Tag des Bargteheider Stadtjubiläums, auf die Neonazis eingeprügelt hat, ist übrigens bis heute nicht geklärt. Bekannt ist nur: Das Verfahren ist noch nicht eingestellt, das Kommissariat 5 in Lübeck, das Staatsschutzkommissariat, arbeitet weiter an dem Fall.