Bank-Geheimnis: Der Bargteheider Bernhard Weßling hat ein Buch über sein Leben im Reich der Mitte geschrieben

Bargteheide. Viele seiner mehr als 50 chinesischen Freunde würden sagen, dass er schon zu mehr als der Hälfte Chinese sei, sagt Bernhard Weßling und nippt, wie zur Bestätigung, an seinem Glas mit grünem Tee. Seit sechs Jahren verbringt der Geschäftsführer des Ammersbeker Nanotechnologie-Unternehmens Ormecon zwei Drittel des Jahres im Reich der Mitte.

Jeder Morgen beginnt bei ihm mit dem asiatischen Heißgetränk, jeden zweiten Tag isst er Congee, chinesischen Reisbrei. "Mit Obst, das ist wohl mein westliches Zugeständnis", verrät Weßling. Asiatische Essgewohnheiten habe er sich bereits Mitte der 80er-Jahre zugelegt, als er geschäftlich viel in Japan unterwegs war. Er benehme sich hier nicht anders als in China, sagt der 59-Jährige, der nach chinesischer Rechnung bereits 60 sei, "weil dort die Dauer der Schwangerschaft zum Alter dazugerechnet wird".

Wenn er im knapp 10 000 Kilometer entfernten Shenzhen in der Provinz Guangdong, nahe Hongkong, weilt, lebt der Firmenchef mitten unter den Einheimischen. Ebenso wenig wie er während seiner Auslandsaufenthalte die Nähe westlicher Reisegenossen suche, halte er sich an Benimmregeln, die in einschlägigen Handbüchern stehen, sagt der Bargteheider. Seine Eigenwilligkeit bestimmte schon den Beginn seiner Geschäfte im Land des Lächelns.

Im Jahr 2001 habe er erkannt, dass sich die Märkte nach China verlagern: Er begleitet Bundeskanzler Gerhard Schröder, gemeinsam mit deutschen Wirtschaftskapitänen, auf einer Reise dorthin. Weßling will sein Produkt, organisches Metall für die Leiterplattenproduktion, vermarkten. Doch das Geschäft kommt nicht in Gang. 2005 übernimmt Weßling selbst den Vertrieb. "Dabei bin ich alles andere als ein Marketingmensch", sagt der kleine Mann mit großem Tatendrang. "Man riet mir, für den Geschäftsaufbau zwei Anwaltsbüros, eines in China und eines in Deutschland, zu beauftragen sowie einen Berater und einen Übersetzer zu engagieren", erinnert sich Weßling.

Dieser Rat hätte 100 000 Euro gekostet, wäre er ihm gefolgt, so der Chemiedoktor. Er macht es anders.

Der passionierte Kranichforscher und Hobby-Fotograf mit Faible für Natur- und Vogelaufnahmen lernt in Shanghai YeDan kennen. Der ehemalige chinesische Geschäftsmann plant als Maler eine Ausstellung zum Thema "Ozeane der Welt". Begeistert von Wesslings Kranichaufnahmen, bittet YeDan ihn, gemeinsam mit ihm Werke auszustellen. Zunächst im Shanghaier Künstlerviertel, dann im Stadtteil Pudong, zeigt Weßling Fotos, die er während seiner Tauch- und Angel-Reisen auf den Weltmeeren gemacht hat. YeDan hebt für die Vermarktung der Ausstellung Weßlings chinesischen Namen aus der Taufe: WeiSiLin, lautmalerisch an Weßling erinnernd.

Ein Freund des Malers lädt Weßling zu einer Investitionsroadshow nach Nantong ein. Drei Wochen später hat Weßling seine Tochtergesellschaft Ormecon China in Nantong registriert. "Und das hat mich nur 250 Euro gekostet", schmunzelt er. Das Herz der Produktion schlägt jedoch in Shenzhen. Seit 2003 habe sich das Geschäft für Ormecon nahezu verdreißigfacht, sagt Weßling, der 85 Prozent seines Umsatzes in Asien macht, davon 90 Prozent in China. "Mein Eindringen in die chinesische Kultur besteht nicht darin, dass ich mich zwanghaft assimiliere", sagt Weßling. "Ich beobachte einfach gerne, das ist wohl meinem Wissenschaftlerdrang geschuldet."

So wohnt er zunächst sonntags als Zaungast den Spielen von Hobby-Fußballmannschaften in Shenzhen bei. Dann kauft er sich Torwartzeug. Ohne ein Wort Chinesisch zu beherrschen, betritt er den Platz und signalisiert dem Torwart, seinen Platz übernehmen zu wollen. "Der war dankbar und hat mir für jeden gehaltenen Ball applaudiert", erinnert sich Weßling. Seine Mannschaftskameraden nennen ihn fortan LaoWei. Das bedeute der alte Wei, Wei stehe zudem für Wächter. Die "Alten Bullen" seien immer noch seine Sonntagsmannschaft, sagt Weßling, den der Fußball vor Ort in andere gesellschaftliche Kreise gebracht habe.

Den Sonntagmorgen hat er für Chinesischunterricht reserviert, um sein Mandarin weiter zu verbessern. Der zweifache Vater und Großvater hat seine Erfahrungen im Land der Morgenröte jetzt zu Papier gebracht. Von April bis September 2010 schrieb er nachts, im Flugzeug und während der Autofahrten, bei denen er sich durch Chinas Städte chauffieren lässt ("das Auto ist mein rollendes Büro") seine Erlebnisse im Privat- und Geschäftsleben nieder. "Jede Figur im Buch existiert real, aber mit anderem Namen", sagt der Autor. Drei chinesische Freunde hätten sein Werk lektoriert und ihm bescheinigt, dass er mehr beobachtet habe als sie.

Seine Frau, mit der er seit 30 Jahren in Bargteheide lebt, konnte er indes nicht für ein Leben auf dem asiatischen Kontinent begeistern. "Sie fühlt sich hier wohler", sagt Weßling, der in diesem Jahr sein persönliches Engagement in Shenzhen beenden will. "Ich gehe nicht in Rente, aber ändere mein Berufsumfeld. Ich möchte mich der Fotografie und Schriftstellerei widmen, gehe vielleicht in die Unternehmensberatung." Seine Kranichforschung beendete er ein Jahr, nachdem er in China Fuß fasste. Jetzt träumt der erfahrene Taucher vom Eistauchen in der Antarktis. Dafür müsse er noch üben.