Selten hatten Schulabgänger so gute Chancen wie jetzt. Ein Grund ist der Rückgang der Bewerbungen aus Mecklenburg-Vorpommern.

Bad Oldesloe. Schulabgänger haben in Stormarn zurzeit so gute Chancen wie lange nicht mehr, schnell eine Lehrstelle zu bekommen. Knapp drei Monate vor Beginn des neuen Ausbildungsjahres stehen in der Kartei der Agentur für Arbeit in Bad Oldesloe 1216 gemeldeten Bewerbern 1558 ebenfalls dort registrierte Angebote gegenüber.

Auch wenn diese Zahlen nur einen Ausschnitt der gesamten Situation widerspiegeln, jenen relativ kleinen Bereich nämlich, von dem die Arbeitsverwaltung Kenntnis erlangt: Für Agenturchefin Heike Seifert-Grote haben diese Zahlen große Aussagekraft. "Darin ist ein Trend abzulesen", sagt sie, "die Unternehmen werden sich darauf einstellen müssen." Zumindest von der Anzahl her deutlich mehr Stellen als Jugendliche, die sie einnehmen wollen - noch vor vier Jahren war die Situation genau umgekehrt gewesen. Ende April 2006 bemühten sich bei der Oldesloer Behörde 1943 Bewerber um 1395 offene Ausbildungsplätze. 2007 sah es ähnlich aus, 2008 und 2009 waren beide Zahlen nahezu ausgeglichen. In diesem Jahr ist der Ausbildungsmarkt erstmals eindeutig gekippt.

Unternehmer berichten der Agentur schon, dass auch die Zahl der eingehenden Bewerbungen stark rückläufig sei. Sie liege bei einem Drittel, teilweise bei einem Viertel des Niveaus vergangener Jahre, vereinzelt sogar noch darunter. Heike Grote-Seifert: "Wir bewegen uns von einem sogenannten Stellenmarkt hin zu einem Bewerbermarkt."

Einen Grund für diese Entwicklung sehen Experten in Mecklenburg-Vorpommern. Dort geht die Zahl der Schulabgänger stark zurück. So stark, dass die örtlichen Betriebe kaum noch Auszubildende finden. "Die Bewerber aus dem Nachbarland fehlen", sagt die Chefin der Arbeitsagentur. Auch der doppelte Abiturjahrgang in Hamburg hat an dieser Situation nichts geändert.

Sie rät Firmenchefs, "von ihren hohen Anforderungen an die Bewerber abzurücken und auch den vermeintlich Schwächeren eine Chance zu geben". Klaus Faust, in der Agentur-Geschäftsführung fürs operative Geschäft zuständig, sagt: "Die Unternehmer müssen die Schätze unter den vermeintlich Schwächeren heben."

Die "vermeintlich Schwächeren" - wer sind die? In der Arbeitsagentur scheuen die Verantwortlichen eine eindeutige Antwort. Offenbar sind es all jene, die es bislang schwerer hatten, einen Ausbildungsplatz zu finden, weil sie kein Einser-Abitur hatten. Ronald Zorn vom Verwaltungsrat der Arbeitsagentur und selbst Unternehmer, sagt: "In der Vergangenheit haben die Firmen nur angehende Bürokaufleute mit Abi genommen." Inzwischen ist die Situation offenbar eine andere, wie der stellvertretende Leiter der Ahrensburger Berufsschule, Norbert Weppelmann, beobachtet: "Wer einen ganz normalen Schulabschluss hat - auch einen Hauptschulabschluss - hat eine Chance."

Und diese Chancen gewähren die Firmenchefs den Bewerbern nicht aus purer Selbstlosigkeit.

"Wir müssen uns fragen, wie wir künftig unseren Bedarf an Fachkräften decken können", sagt Adelbert Fritz, der Geschäftsführer der Kreishandwerkerschaft Stormarn. "Wir werden dieses Jahr erstmals einen deutlichen Überhang an Ausbildungsstellen haben." Ungefähr 300 Lehrlinge finden jährlich Anstellung bei Stormarner Handwerkern. Zwischen 60 und 70 Plätze seien zurzeit noch frei, sagt Adelbert Fritz. Er geht davon aus, dass sich die Handwerker künftig viel früher im Jahr um beruflichen Nachwuchs kümmern müssen. Das sieht Christian Maack von der Handwerkskammer Lübeck ähnlich. "Unsere Mitglieder werden sich richtig bemühen müssen, die freien Stellen zu besetzen." Die Chefs finden keine Lehrlinge mehr. Welcher Weg aus dieser Situation führen könnte, skizziert Sönke Zahrt, der für die Berufsberatung zuständige Bereichsleiter bei der Oldesloer Agentur für Arbeit: "Wenn ich als Unternehmer niemanden finde, gucke ich mir gegebenenfalls vielleicht mal meine eigenen Einstellungsvoraussetzungen an und korrigiere sie." Er ist sich aber noch nicht sicher, wie groß die Bereitschaft der Firmen zu diesem Umdenken sein wird.

Praktika könnten den Chefs dabei helfen. Arbeitsagentur-Chefin Heike Grote-Seifert sagt: "Auch wenn die Noten eines Bewerbers vielleicht nicht die allerbesten sind oder sein Outfit beim Bewerbungsgespräch nicht das ansprechendste: Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele junge Leute in einem Praktikum einen ganz anderen Eindruck hinterlassen." Unternehmer Ronald Zorn pflichtet ihr bei. "Es wird künftig stärker auf die Soft Skills ankommen." Oder, wie es Adelbert Fritz von der Kreishandwerkerschaft ausdrückt: auf den Nasenfaktor.