Ahrensburg. Der Titel „Kreistagsabgeordneter“ mag politische Macht ausstrahlen, doch im Alltag sind die Einflussmöglichkeiten gesetzlich eng begrenzt: Dieser Umstand wurde bei der Podiumsdiskussion des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB) Stormarn mit Spitzenkandidaten der Parteien in Ahrensburg mehrmals deutlich. Grundsätzliche Regelungen geben Bundes- und Landespolitik vor, detaillierte Beschlüsse im Ort fällen die Stadt- und Gemeindevertretungen.
„Wir können als Stormarner Kreistag nicht alles übernehmen, was in Berlin nicht entschieden wird“, sagte der CDU-Fraktionsvorsitzende Joachim Wagner. Angesichts vieler Pflichtaufgaben meinte SPD-Fraktionschef Frank Schmalowsky, dass der Aufgabenbereich für Außenstehende größtenteils „langweilig“ sei. Sabine Rautenberg (Grüne) stellte wiederholt fest, dass etliche Fragestellungen des DGB gar nicht in die Zuständigkeit des Kreistags fielen. Und auch Heidi Beutin (Linke) musste immer wieder den Bogen zu Bundesthemen spannen. Der ebenfalls eingeladene Thomas Bellizzi (FDP) hatte kurzfristig wegen Krankheit abgesagt.
Kreis Stormarn ist einer der wenigen schuldenfreien Kreise in Deutschland
In wesentlichen Dingen liegen die ehrenamtlichen Kommunalpolitiker zudem auf ähnlichem Kurs. Das mag sicher am sogenannten Stormarner Modell – Beschlüsse werden in fraktionsübergreifenden Runden gut vorbereitet – liegen. Dieses hat auch dazu geführt, dass Stormarn seit 2016 einer der wenigen schuldenfreien Kreise in Deutschland ist. Anfang 2008 stand er noch mit 50 Millionen Euro im Minus. Trotzdem sei man nicht reich, sondern gebe nur so viel Geld aus, wie hereinkomme, betonte Wagner. Im Einzelnen gab Moderator Felix Hoffmann (Öffentlichkeitsarbeit beim DGB Nord) mehrere Wahlprüfsteine vor.
Öffentlicher Personennahverkehr: Der Kreis arbeite daran, die Verbindungen abseits der Hauptachse Hamburg–Lübeck zu verbessern. So werden im Sommer Express-Buslinien aus dem Süden zur Ahrensburger Berufsschule eingerichtet. Der On-Demand-Shuttle HVV Hop (ehemals Ioki) könne auf dem land weiter ausgebaut werden. Über Zuschüsse zum 49-Euro-Ticket für Lehrlinge berät der Kreistag bei seiner nächsten Sitzung. Wirtschaftlich schwache Stormarner sollten ebenfalls berücksichtigt werden, regte Heidi Beutin an.
Bezahlbares Wohnen: Grüne, SPD und Linke sind für die Gründung einer kommunalen Wohnungsgesellschaft in Stormarn, die CDU ist dagegen. „Eine solche Gesellschaft baut nicht nur Wohnungen, sondern ist auch als Bestandshalter langfristig wichtig“, sagte Rautenberg, die in Hamburg für ein kommunales Wohnungsunternehmen arbeitet. Vorbild könne der Landkreis Harburg sein, der 2017 eine solche Gesellschaft gestartet hat.
„Um erfolgreich zu sein, bräuchte man sehr schnell eine Größenordnung von 1000 Wohnungen“, sagte Frank Schmalowsky. Heidi Beutin erinnerte daran, dass die Linke schon 2013 und 2021 entsprechende Vorschläge gemacht habe, die damals noch abgelehnt wurden. „Wir sind ohnehin für die Rekommunalisierung von Bereichen der Daseinsfürsorge“, sagte sie. „Freie Unternehmen sind immer auf Profitmaximierung geeicht.“
Nur die CDU lehnt eine kommunale Wohnungsgesellschaft ab
Für CDU-Mann Wagner reicht dagegen das 2018 gegründete Stormarner Bündnis für bezahlbares Wohnen aus, dem sich die meisten Kommunen und zehn Unternehmen angeschlossen haben. „Eine zusätzliche Gesellschaft löst das Problem nicht, sondern kostet nur mehr Geld“, sagte er. Die Städte und Gemeinden hätten Baugrundstücke, nicht aber der Kreis. Doch man könne niemanden zwingen, Flächen für sozialen Wohnungsbau zur Verfügung zu stellen. Derzeit läuft eine kreisweite Umfrage, ob die Kommunen bei einer Wohnungsgesellschaft mitmachen würden. „Ich rechne nicht damit“, so Wagner. „Falls doch, würden auch wir neu beraten.“
Eine weitere Schwierigkeit ist, das vehementer Protest gegen Wohnprojekte jeder Art häufig programmiert ist. Das zeigte auch ein Zuhörerbeitrag von Ahrensburgern: Sie machten klar, dass es nicht hinnehmbar sei, bei einer Nachverdichtung in ihrem Areal statt auf grüne Innenhöfe auf andere Wohnungen zu blicken.
Betreuungsplätze für Kinder: Unisono verwiesen die Redner auf die einstimmige Entscheidung des Kreistags, die praxisintegrierte Ausbildung (PiA) für Erzieherinnen und Erzieher in einem Pilotprojekt freiwillig mitzufinanzieren. Die SPD regte eine Jugendberufsagentur an, um den Übergang von der Schule in eine Ausbildung zu erleichtern. Der Vorstoß erhielt durchweg Zustimmung. Der Bau von Kitas sei dagegen Sache der Kommunen.
Kinder- und Jugendbeteiligung: In einer Fragerunde des Kreisjugendrings (KJR) machten die vier Fraktionschefs deutlich, dass sie dessen Arbeit sehr schätzen und weiterhin unterstützen wollen. Die Lebensqualität für Jugendliche könne auch durch günstigen Wohnraum, die Jugendberufsagentur und ein gutes schulisches Angebot erhöht werden.
- https://www.abendblatt.de/region/stormarn/article235110467/Pro-Kopf-Einkommen-Kreis-liegt-bundesweit-auf-Platz-44.html
- https://www.abendblatt.de/region/stormarn/ahrensburg/article238024417/Stormarn-braucht-10-000-neue-Wohnungen-aber-wie.html
- https://www.abendblatt.de/region/stormarn/article237985669/246-Kandidaten-treten-zur-Kreiswahl-in-Stormarn-an.html
Kinder-, Eltern- und Familienarmut sowie prekäre Arbeitsverhältnisse: „Die Kinder- und Familien-Grundsicherung muss kommen“, sagte Heidi Beutin, da sollte jeder Druck auf seine Parteiführung machen. Der Kreis selbst könne einen Sozialfonds einrichten. Kostenlose Bildungsmöglichkeiten sind für Frank Schmalowsky ein Ausweg. Die Wirtschafts- und Aufbaugesellschaft Stormarn (WAS) achte darauf, hochwertige Arbeitsplätze anzusiedeln. „Es wurden auch schon Firmenanfragen abgelehnt“, so der Sozialdemokrat. Grüne und CDU sahen das ähnlich.
Nach mehr als zwei Stunden Frage-Antwort-Spiel resümierte der DGB-Kreisvorsitzende Joachim Sauer: „Wir hätten uns manchmal etwas mehr Dissens gewünscht.“ Das mochte aus Sicht der Organisatoren verständlich sein. Doch vielleicht ist es tatsächlich kein so schlechtes System, in sachlicher Debatte zu konstruktiven Entscheidungen zu kommen, statt diese mit gegenseitigen Attacken zu blockieren.
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