Großhansdorf. „Für mich hat dieses Gebäude etwas von Enid Blyton oder Harry Potter, etwas Uriges“, sagt Ralph Märcker, während er die ausgetretenen Holzbohlen der Treppe hoch zu seinem Büro im ersten Stock betritt. Etwas Wehmut klingt mit. Allzu oft wird der Leiter der Grundschule Wöhrendamm diese Stufen nicht mehr hinaufgehen: Nach den Sommerferien wird sein Nachfolger oder seine Nachfolgerin das Schulleiterbüro beziehen. An diesem Freitag ist für Märcker nach 21 Jahren an der Spitze der Großhansdorfer Grundschule Schluss. Der 65-Jährige verabschiedet sich in den Ruhestand.
Schon an seinem ersten Tag hatte sich Märcker in das 1913 fertiggestellte rote Backsteinbauwerk mit seinen verwinkelten Fluren, dem bogenförmigen Eingangsportal und den großen Buchen davor verliebt, das seit Sommer 2001 sein Arbeitsort ist. Die besondere Wirkung des historischen Schulgebäudes sei etwas, das in all den Jahren geblieben sei.
Kaum ein Schulleiter in der Region war so lange im Amt wie Märcker
Ansonsten hat sich viel verändert. Kaum ein Schulleiter in der Region amtierte länger als Märcker am Wöhrendamm. „Mit der Gesellschaft hat sich auch der Schulalltag deutlich gewandelt“, sagt er. Haupt- und Realschule gibt es ebenso nicht mehr wie verbindliche Schulempfehlungen nach der vierten Klasse, dafür aber die Offene Ganztagsschule.
Im Jahr 2000 hatte ihn der Schulleiterwahlausschuss, ein Gremium, dem Politiker, Lehrkräfte und Eltern angehören, zum Nachfolger von Rektor Harald Hasselmeier gewählt, der in Pension gegangen war. Märcker kam damals aus Sandesneben im Kreis Herzogtum Lauenburg, wo er an einer Grund- und Hauptschule Jungen und Mädchen von der ersten bis zur neunten Klasse unterrichtete.
Die Jüngsten unterrichtet der Pädagoge am liebsten
„Ich habe alle Altersstufen gern unterrichtet, aber Grundschule bedeutete für mich immer ein kleines Stückchen mehr Heimat“, sagt er rückblickend. Denn hier sei es möglich, den Kindern neben fachlichem Wissen auch „etwas fürs Leben“ mit auf den Weg zu geben. „Viele Erwachsene, mich eingeschlossen, empfinden die Grundschulzeit rückblickend als die schönste Zeit“, sagt Märcker. Und auch für Pädagogen sei die Arbeit mit den Jüngsten besonders befriedigend. „Die Kinder sind neugierig, offen und ehrlich, etwas, das häufig im Laufe der Jahre verloren geht.“
Kennengelernt hat der Mann mit der sanften Stimme und der sachlichen Art während seiner Zeit als Rektor Tausende Schüler. Allein aktuell besuchen 288 Jungen und Mädchen die Bildungseinrichtung am Wöhrendamm. Bis zum Schluss hat der Schulleiter selbst unterrichtet, Mathematik und Sport sind seine Fächer. Und auch das Kollegium, das derzeit aus 18 Lehrkräften und drei weiteren Mitarbeitern besteht, hat Märcker geprägt. Bis auf eine Pädagogin, die noch dienstälter ist als der Rektor, hat der 65-Jährige alle selbst eingestellt.
Eine Beförderung zum Schulrat lehnte Märcker einst ab
„Ich bin Schulleiter geworden, weil ich Schule gestalten wollte“, sagt er. Die Möglichkeit, zum Schulrat aufzusteigen, habe er deshalb einst abgelehnt. „Dann hätte ich diesen Gestaltungsspielraum verloren“. Und gestaltet hat Märcker, etablierte das Drachenfest, eine bunte Feier für Kinder und Eltern, und viele weitere Veranstaltungen und Projekte.
Eine Entwicklung, die Märcker als prägend für seine Zeit als Schulleiter bezeichnet, ist die stetige Ausweitung der Betreuungszeiten. „Als ich anfing, da war die Schule mittags leer, um 13 Uhr kam die Putzfrau“, sagt der Pädagoge. „Die Zeit, die Kinder in der Schule verbringen, hat sich, bedingt eine zunehmende Berufstätigkeit beider Elternteile, immer weiter in den Nachmittag ausgedehnt“, sagt der Rektor mit Blick auf die Einführung der Offenen Ganztagsschule.
Bei der Nachmittagsbetreuung war die Grundschule Vorreiter
Ob diese Entwicklung gut oder schlecht sei, wolle er nicht beurteilen. „Alles hat Vor- und Nachteile“, sagt Märcker. Einerseits profitierten viele Kinder von dem begleiteten Lösen der Hausaufgaben und vom Lernen in der Gruppe. „Andererseits fehlen aber auch die Rückzugsräume“, gibt er zu bedenken.
Bei der Nachmittagsbetreuung war die Grundschule Am Wöhrendamm schon früh ein Vorreiter in der Region. Bereits 2001 gründeten berufstätige Eltern den Wöhri-Club, um ihre Kinder auch am Nachmittag gegenseitig zu betreuen. „Damals war es eine kleine Gruppe, nicht einmal ein Dutzend“, erinnert sich Märcker. Inzwischen werden 160 Jungen und Mädchen auch nach Schulschluss im Wöhri-Club, der noch immer als Elternverein organisiert ist, betreut.
Neubau für die OGS ist eines der Projekte, die der 65-Jährige angestoßen hat
Die Zeichen des gesellschaftlichen Wandels sind auch baulicher Art: Aktuell entsteht auf dem Pausenhof für 4,4 Millionen Euro ein Neubau für die Nachmittagsbetreuung. Wegen der steigenden Nachfrage nach OGS-Plätzen reichen die bisherigen Räume für den Wöhri-Club schon lange nicht mehr aus. Das Gebäude war eines von vielen Projekten, die Märcker auf den Weg gebracht hat. „Es ist wichtig, dass es für die Kinder eine räumliche Trennung zwischen Unterricht und Nachmittag gibt“, sagt der Pädagoge. Bisher seien die Jungen und Mädchen mangels Alternativen auch nach Schulschluss in den Klassenzimmern betreut worden.
Für den Neubau hat Märcker lange gekämpft, in den politischen Gremien des Schulverbands und der Gemeinde immer wieder die Dringlichkeit betont. Die Zusammenarbeit mit der Politik, aber auch mit den Eltern lobt der scheidende Rektor rückblickend. „Als Schule sind wir immer großzügig berücksichtigt worden.“
Seinem Nachfolger gibt Märcker eine Weisheit mit auf den Weg
Den Abschied betrachtet der 65-Jährige mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Vor allem die Corona-Pandemie habe den Schulalltag stark belastet. „Ohne diese Erfahrung wäre mir der Abschied schwerer gefallen“, sagt Märcker. Nun freut sich der Vater eines Sohnes und einer Tochter darauf, mehr Zeit mit der Familie, insbesondere mit seinem Enkelkind, zu verbringen.
Seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin gibt er eine Weisheit mit auf den Weg, die ihn stets begleitet habe: „Als Schulleiter brauchst du zwei Dinge: Unermüdliche Ausdauer und die Bereitschaft, in das, wovon man überzeugt ist, viel Zeit und Arbeit zu investieren.“
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