Ahrensburg. Schreiben stammt angeblich aus Stormarner Fraktionen. Ein Versuch, die Berichterstattung im Sinne von Impfgegnern zu beeinflussen

Versuchen Stormarner Kommunalpolitiker, die neutrale Berichterstattung des Hamburger Abendblatts zugunsten der Impfgegner zu beeinflussen? Oder handelt es sich um eine perfide Aktion der Impfgegner selbst, die glauben, die journalistische Arbeit in ihrem Sinne manipulieren zu können, indem sie sich als Volksvertreter ausgeben? Diese Frage stellt sich angesichts eines anonymen Schreibens an unsere Redaktion.

2G-Regel wird als „indirekte Impfpflicht“ bezeichnet

In dem als offener Brief betitelten Text geben sich die Verfasser als „Gruppe von unterschiedlichen Kommunalpolitikern aus dem Kreis Stormarn (Freie Demokraten, Christdemokraten, Sozialdemokraten und Grüne Demokraten)“ aus. Sie behaupten, an den sogenannten „Spaziergängen“ (wir berichteten) teilgenommen zu haben, um sich ein eigenes Bild zu machen, und äußern ausgesprochene Sympathie für die Corona-Kritiker. Um nicht erkannt zu werden, seien sie jedoch „stets außerhalb unserer Gemeinde mitspaziert“. Auffallend viel Bedürfnis nach Anonymität für vorgebliche Kommunalpolitiker, die es doch gewohnt sein sollten, öffentlich für ihre Überzeugungen einzutreten.

Für die Absender bedeutet die 2G-Regel eine „indirekte Impfpflicht“, die zu „erheblichen Nachteilen“ für die Impfpflichtgegner führe, die im Übrigen keine Impfgegner seien, dafür aber „Verschwörungsgegner (also keine Verschwörungstheoretiker oder Querdenker)“. Angesichts solcher Aussagen dürfte es zweifelhaft sein, dass der oder die Briefeschreiber jemals bei einer solchen Versammlung mitgelaufen sind.

Tenor des Schreibens steigert sich ins Dramatische

Weiter heißt es: „Wir haben im Schutze der Dunkelheit weinende Menschen gesehen und auch mit vielen gesprochen, die vor der Spritze Todesangst haben und wieder andere, die vom Freitod sprechen, wenn die Impfpflicht kommt.“ Das Ganze mündet in dem Aufruf: „Sprechen Sie sich bitte ebenfalls gegen eine allgemeine Impfpflicht aus.“

Beigefügt ist ein Flugblatt mit dem Tenor „Wenn Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“. Darin werden Ort und Zeit der Treffen in Ahrensburg genannt, aber behauptet, „Spaziergänge“ seien keine Versammlungen.

Laut Anita Klahn kein FDP-Mandatsträger beteiligt

FDP-Landtagsabgeordnete Anita Klahn schließt eine Beteiligung von Mandatsträgern ihrer Partei an dem Schreiben aus.
FDP-Landtagsabgeordnete Anita Klahn schließt eine Beteiligung von Mandatsträgern ihrer Partei an dem Schreiben aus. © HA

Wie beurteilen Stormarner Politiker den Brief hinsichtlich Wahrheitsgehalt und Inhalt? Die FDP-Landtagsabgeordnete Anita Klahn sieht ihn „als Versuch, eine Berichterstattung zu erhalten, die verbunden ist mit der Hoffnung, dass der Text unreflektiert übernommen wird und der Eindruck entsteht, dass die ,Spaziergänge‘ von den genannten Parteien getragen werden.“ Das sei nicht der Fall.

Eine Nachfrage in Ortsverbänden, Gemeindevertretungen und der Kreistagsfraktion habe gezeigt, dass „weder ein FDP-Mandatsträger mit Initiatoren der ,Spaziergänge‘ in Verbindung steht noch an dem Schreiben beteiligt ist“. Die Vorsitzende der Grünen-Kreistagsfraktion, Sabine Rautenberg, sagt: „Ich bin nicht darauf angesprochen worden, dass Kommunalpolitiker woanders mitlaufen.“ Sie habe auch keine Kenntnis von dem Zusammenschluss einer interfraktionellen Gruppe. Wer demonstriere, solle das offen tun. Rautenberg: „Ich finde es vielmehr bedrohlich, dass sich viele Menschen gegen die Corona-Maßnahmen aussprechen, obwohl diese gut begründet sind.“

„Untauglicher Versuch, freie Presse zu manipulieren“

Der SPD-Kreistagsfraktionsvorsitzende Reinhard Mendel meint: „Ich halte dieses Schreiben für den untauglichen Versuch, die freie Presse zu manipulieren und vergessen zu machen, dass bislang schon weit mehr als 100.000 Menschen gestorben sind.“ Wer zum Widerstand gegen den Staat aufrufe und sich nicht an geltende Gesetze halte, „sollte nicht derart heuchlerisch den Versuch machen, die Teilnehmer als brave Demokraten darzustellen“. Der CDU-Landtagsabgeordnete Tobias Koch hält es für ausgeschlossen, dass hinter dem Brief tatsächlich Kommunalpolitiker seiner Partei stehen. „Und ich kann mir auch nicht vorstellen, dass sich Kommunalpolitiker von SPD, Grünen und FDP derart verhalten und äußern würden.“

Tobias Koch, CDU-Landtagsabgeordneter aus Ahrensburg, kann sich nicht vorstellen, dass Kommunalpolitiker hinter der Aktion stecken.
Tobias Koch, CDU-Landtagsabgeordneter aus Ahrensburg, kann sich nicht vorstellen, dass Kommunalpolitiker hinter der Aktion stecken. © CDU

Auch Joachim Wagner, Fraktionsvorsitzender der CDU Stormarn, „würde für die Mitglieder meiner Fraktion die Hand ins Feuer legen“. „Den Versuch, eine renommierte Zeitung zur Unterstützung einer rechtswidrigen Aktion zu bewegen, halte ich für verwerflich.“ Die Flugblatt-Aussage, es handele sich nicht um eine Versammlung, dient laut Koch „ausschließlich dazu, Hygienekonzept und Maskenpflicht zu umgehen und als Veranstalter anonym zu bleiben“.

Es ist bereits der zweite anonyme Brief dieser Machart

Ein weiterer anonymer Brief vom September an Ahrensburgs Bürgermeister Michael Sarach weist frappierende Ähnlichkeiten mit dem aktuellen auf. Darin wird Bürgervorsteher Roland Wilde vorgeworfen, zu Unrecht den Impfstatus von Politikern abgefragt zu haben. Die Rede ist von einer „bevormundenden Impfung“ und davon, dass niemand Nachteile aufgrund seines Impfstatus erfahren dürfe.

Auch hier gilt, was Klahn zum aktuellen Schreiben sagt: „Letztlich steht dahinter, dass man wohl anders keine Aufmerksamkeit und Akzeptanz zum Protest gegen Corona-Maßnahmen erreicht.“