Deutsche Vielseitigkeitsreiter werden Mannschafts-Europameister. Michael Jung holt zudem den Einzeltitel und 27 000 Zuschauer sind Rekordbesuch

Luhmühlen. Die Europameisterschaft der Vielseitigkeitsreiter 2011 in Luhmühlen ist Legende und wird als eine der dramatischsten in Erinnerung bleiben. Vor allem die deutschen Reiter haben ihren Heimvorteil genutzt und feierten in der Westergellerser Heide mit einem Dreifach-Erfolg im Einzel und der Goldmedaille in der Mannschaftswertung den totalen Triumph. Und das, obwohl es zweimal überraschende und nicht zu erwartende Rückschläge gab.

Begonnen hatte das am Geländetag. Da war Lokalmatador Andreas Dibowski aus Döhle mit seiner Stute FRH Fantasie am Hindernis 22 gestürzt. Dabei war er als der sichere und zuverlässig extra als erster Mannschaftsreiter von den Bundestrainern Hans Melzer und Chris Bartle auf Kurs geschickt worden. Sein Ausscheiden erhöhte den Druck auf Ingrid Klimke, Michael Jung und Sandra Auffarth, die ebenfalls für die Mannschaft gemeldet waren. Würde noch einer ausfallen, wäre die Mannschafts-Europameisterschaft, von den Bundestrainern als vorrangiges Ziel ausgegeben, ins Wasser fallen.

Und dann reiten Ingrid Klimke und ihr Butts Abraxxas beim abschließenden und alles entscheidenden Springen am Sonntag als Letzte in den Parcours. Nur in der Vielseitigkeit kennt man diese besondere Dramaturgie, dass der Führende nach Dressur und Gelände den Schlusspunkt setzen muss. Und das kann zur Hölle werden. Als die "Sonnenkönigin des Vielseitigkeitssport" wie sie in der ARD angekündigt wurde, die ersten Hindernisstangen poltern ließ, war das Aufstöhnen der Zuschauer bis weit in die Heide zu hören. Als die zweite Stange fiel und dann die dritte, hielten Tausende den Atem an. Die führende Ingrid Klimke stürzte mit 24 Fehlerpunkten auf Platz elf der Einzelwertung ab.

Ihr Unglück brachte Weltmeister Michael Jung auch auf den Thron in Europa. Und weil sich dahinter die junge Sandra Auffahrt mit ihrer neunjährigen Stute Opgun Louro Silber und Frank Ostholt mit Little Paint auch Bronze sicherte, wurde das große Ziel in Luhmühlen Wirklichkeit. Nach 38 Jahren erkämpfte sich das deutsche Vielseitigkeits-Team den Europameistertitel.

Eindrucksvoller hätte der deutsche Vielseitigkeits-Sport seine führende Rolle nicht demonstrieren können. Bundestrainer Hans Melzer aus Putensen, der vor Freude Luftsprünge machte, wich der Frage nach der Nominierung für die Olympischen Spiele im kommenden Jahr in London zwar noch aus. "Mindestens zwei Drittel der Spitzenreiter, die wir in Luhmühlen erlebt haben, werden sicher auch in London dabei sein. Aber wer für Deutschland unser Olympia-Gold verteidigt, da kann ja noch so viel passieren, mit den Reitern und mit den Pferden."

Natürlich aber war diese Europameisterschaft ein Meilenstein auf dem Weg nach London. Deshalb auch die Frage an den glücklosen Andreas Dibowski: "Wird dieser Sturz Auswirkungen für Sie und Fantasie haben?"

"Nein", kommt die Antwort ohne jedes Zögern. "Es war ein banales, ein dummes Missgeschick. Fantasia hatte das Hindernis 22 ganz kurz mit den Hinterbeinen angetickt. Die Folge war, dass sie mit den Vorderbeinen nicht richtig landete, einknickte und ich aus dem Sattel flog. Ich habe mich zwar schrecklich darüber geärgert, aber an der Qualität und den Fähigkeiten der Stute kommen deshalb keine Zweifel auf. Trotz dieses Tiefschlags war für erfreulich in Luhmühlen, dass Fantasia in der Dressur einen großen Schritt nach vorne gemacht hat. Vor zwei Monate hatte ich mit ihr in der Dressur ein Aha-Erlebnis. Wir haben das Training umgestellt und ich bin sicher, wir machen weitere, entscheidende Fortschritte."

Davon wird letztlich auch abhängen, ob der Mannschafts-Olympia-Sieger auch in London wieder einreiten wird. Denn zur großen Überraschung der Vielseitigkeits-Szene hat der Weltklasse-Reiter aus Döhle Anfang August sein Spitzenpferd Butts Leon nach Amerika verkauft. Er habe das Angebot einer italienischen Agentin für Spitzenpferde nicht ablehnen können. Für Sam, das Ausnahmepferd von Welt- und Europameisters Michael Jung wurden vor Monaten rund 800 000 Euro bezahlt. Das könnte auch für Butts Leon eine Richtlinie gewesen sein. Nina Ligon heißt die neue Besitzerin, eine 19-jährige Amerikanerin, die sich im internationalen Vielseitigkeitssport erste Sporen mit ihrem Sieg bei den Asien-Spielen verdient hat. Weil Nina Ligon für Thailand in London starten will, braucht sie ein Spitzenpferd.

Gewinner der Europameisterschaft ist aber auch die Turniergesellschaft Luhmühlen als Gastgeber. Mit 27 000 Besucher am Geländetag gab es einen Rekordbesuch.