Finanzielle Gründe bewegen den MTV Tostedt, sich trotz der sportlichen Erfolgsbilanz aus der deutschen Tischtennis-Eliteliga zurückzuziehen.

Tostedt. Es sind die Szenen, in denen in der Sporthalle an der Poststraße im Herzen von Tostedt die Leidenschaft durchbricht. Oben auf den Zuschauerrängen und unten, neben den Tischtennisplatten, bei Trainern und Betreuern. Die ersten Einzel beim Bundesliga-Heimspiel des MTV Tostedt gegen den TSV Schwabhausen, die Mädchen aus Bayern. An Tisch 1 stehen sich Tostedts Nummer 1, Han Ying, und Yang Ting gegenüber. Selbst wenn der kleine, weiße Ball aufschlägt, klingt das leise, vorsichtig, wie die lange voraus gedachten Züge eines Schachspiels.

Die Knaller kommen vom Nebentisch. Schmetterbälle peitschen durch die Halle, Aufschreie, Jubel. Nadine Bollmeier erobert sich die Hoheit über Jugendnationalspielerin Sabine Winter. Im alles entscheidenden Satz liegen Tostedts Spitzenkräfte jeweils mit 10:7 in Führung. Beifall und Zurufe nach jedem Ballwechsel. Tischtennis vom Allerfeinsten, das der deutsche und internationale Sport zu bieten haben.

Damit aber ist Schluss in Tostedt. Der MTV wird seine Damenmannschaft zum Ende dieser Saison aus der 1. Bundesliga zurückziehen. Die meisten Zuschauer haben von diesem Schock noch nichts erfahren. Anderthalb Stunden zuvor haben die Verantwortlichen im Gasthaus Wiechern die Öffentlichkeit über den traurigen Schritt informiert. Trainer Jimmie Langham spricht den entscheidenden Satz: "So wird man zur Saison 2012/2013 nach elf Jahren auf den Start in der Eliteliga verzichten."

Zuvor war ausführlich dargelegt worden, dass dieser Rückzug alles andere als eine sportliche Bankrotterklärung ist. Für das Tischtennis in Tostedt war das Jahr 2011 das erfolgreichste der Vereinsgeschichte. Eine erstklassige Leistung in der Bundesliga, die meisten Teilnehmer und die meisten Medaillen (fünf) bei den deutschen Meisterschaften. Han Ying gewann die Top-48- und die Top-16 Rangliste, Nadine Bollmeier wurde Dritte. Und dann war da noch Irene Ivancan, die Vize-Europameisterin wurde, wenn auch schon im Trikot ihres neuen Klubs TTC Eastside Berlin.

Sportlich also top und finanziell doch ein Flop. Man kann, ja man muss wohl diesen Rückzug aus der nationalen Eliteklasse mit der Feststellung begründen: "Tostedt liebt seine Tischtennisstars nicht". Nicht mehr jedenfalls, oder immer lauer. "Schauen Sie doch in die Halle", sagt Hartmut Behrens, der mit seinem Bruder Jürgen seit elf Jahren an der Kasse steht. "Es kommen nur noch 50 oder 60 Zuschauer und das sind meistens Rentner." Beim vorletzten Heimspiel gegen den Tabellenletzten TTC Langweid hatten die beiden Brüder genau 60 Euro in der Kasse.

Dabei ist die dahinsiechende Zuschauerresonanz nur ein Symbol, aber kein finanzieller Grund für den Abschied. "Es ist uns kein wichtiger Sponsor abgesprungen", unterstreicht Manager Friedel Laudon. "Aber es ist von Jahr zu Jahr mühseliger geworden, mit unseren knappen Mitteln die Bundesliga so über die Bühne zu bringen, dass keine schlimmeren Lücken im Etat zurückbleiben. Irgendwann aber wirst Du müde, dir bei Auswärtsspielen ein Hotel 20 Kilometer vom Spielort entfernt zu suchen, weil dort die Übernachtung zehn Euro billiger ist. Und dann musst du eine Spielerin überreden, doch auf ein paar hundert Euro zu verzichten."

Die Mühsal eines Provinzvereins in der Bundesliga in Zahlen: Beim MTV Tostedt beläuft sich der Bundesligaetat auf 60 000 bis 65 000 Euro. "Wir haben ihn in den letzten Jahren nicht steigern können", beschreibt Friedel Laudon die Sorgen, die vor allem Michael Bannehr als Geschäftsführer des Bundesligateams stets aufs Neue aus der Welt schaffen muss. "Die administrativen Kosten sind immer weiter gestiegen. Nicht einmal die Hälfte unseres Etats kommt den Sportlerinnen zu Gute."

Han Ying reiste jetzt schon am Vortag aus Karlsruhe an, um Friedel Laudon zu zeigen, wie man eine Wantan-Suppe perfekt kocht. Es ist diese freundschaftlich familiäre Atmosphäre, die den MTV Tostedt zum dienstältesten Klub der 1. Bundesliga werden ließ. "Die war für Michael Bannehr, Jimmie Langham und für mich wie unser Baby", betont Friedel Laudon, "wer gibt das schon gerne auf?" Welche Spielerinnen und Sponsoren nach dem Rückzug an Bord bleiben, wird sich in den nächsten Wochen entscheiden. Das Konzept "Eine Chance für die Talente der Region" wird die Arbeit in Tostedt künftig bestimmen. Das heißt vor allem: Konzentration auf die zweite Bundesliga.

Beim 6:1-Gesamtsieg gegen Schwabenhausen gewannen nicht nur Han Ying und Nadine Bollmeier ihre Einzel, auch die für die erkrankte Svenja Obst aufgerückte Yvonne Kaiser aus der zweiten Bundesliga überzeugte mit dem Sieg gegen Kathrin Mühlbach. Am Sonntag, 6. Mai, um 14 Uhr werden sich die Tischtennisdamen des MTV Tostedt mit dem Heimspiel gegen DJK TuS Essen-Holsterhausen endgültig aus der 1. Bundesliga verabschieden.