Einige der Reiter haben längst die schwarzen Jacken aufgeknöpft und genießen ihr Feierabendbier, da erklingt auf dem Springparcours in Wilhelmsburg noch einmal die Glocke.

Wilhelmsburg. Dirk Rasch, der Mann aus Granderheide, wahrt mit Candor, seinem zweiten Pferd, seine letzte Chance im Stechen. Die beiden nehmen den ersten Oxer, schnell und locker, drehen links ab, der zweite Sprung, rechts einen ganz engen Bogen. Die Zuschauer, die auf der Anlage am Niedergeorgswerder Deich ausgeharrt haben, lassen sich ein letztes Mal mitreißen. Man spürt, wie der Routinier im Sattel aufs Tempo drückt, wie er sein Pferd fast auf den Hinterhufen wendet und sofort wieder schnell macht. Der fünfte, der sechste, der siebte Sprung. Dann fliegen sie auch schon über das letzte Hindernis. Applaus. "Null Fehler und die Zeit von 43,47 Sekunden", lässt am Mikrofon Reitlehrerin Pia Rübsamen die Zuschauer wissen.

Das ist die Führung, das ist der Sieg. Dirk Rasch und Candor haben im Stechen in Wilhelmsburg das erste M-Springen mit zwei Sternen für sich entschieden. Zweiter wurde Jan Glißmann auf Olymp aus Hamburg-Sülldorf vor Ronny Preißler auf Gofina, ebenfalls vom Pferdesport Granderheide aus dem Kreis Stormarn.

Es war bereits das 30. Mal, dass der altehrwürdige Reit- und Fahrverein Wilhelmsburg zu seinem Turnier eingeladen hatte. Der Wettbewerb heißt heute ganz modern Kirchdorf Classics. "Allein vom Meldeergebnis sind wir überrascht und auch ein bisschen überrannt worden", vermeldete Yves Harms, der junge Turnierwart des 99 Jahre alten Vereins, "an den beiden Tagen waren 961 Reiter mit 954 Pferden bei uns und die sind insgesamt 1773 Mal gestartet."

Gerade darin auch, so erläutert Pia Rübsamen, liege der Nennungserfolg der Wilhelmsburger Traditions-Veranstaltung. "Wir haben unsere einzelnen Prüfungen so offen ausgeschrieben, dass jeder mehrfach starten kann", sagte sie.

Wilhelmsburg, das ist vor allem auch das Turnier für den Nachwuchs. Allerdings war es der übervolle Zeitplan, der der Jugend das letzte Glück und den letzten Applaus bescherte. Nach der Siegerehrung für die sportlich hochwertigste Prüfung, dem M-Springen mit zwei Sternen, galoppierten als allerletzte die Mädchen und Jungen bei einem Springen der Klasse E in den Parcours.

Parcourschef Arne Vogt hatte die Hindernisse niedrig aufbauen lassen. "Es ist ja schon recht spät", sagte er, "die Kinder und auch die Pferde sind nicht mehr so konzentriert, da wollen wir ja nicht, das zum Abschluss noch was passiert." Und doch stockte den Müttern und Väter am Rande manchmal der Atem, ein solches Tempo legte der Nachwuchs vor. Und immer wieder übertönten Bravo-Rufe das Geschehen im Hintergrund.

Zu den Nachwuchsreitern, die Wilhelmsburg noch auf Jahre hinaus nicht vergessen werden, weil sie hier erste Erfolge erlebten, zählt ganz sicher auch Franziska Ganter vom Luhdorfer Reitverein. Die 16 Jahre alte Schülerin trat mit ihrem Pferd Careful Choice zum letzten Springen an. So mancher Zuschauer, der bereits auf dem Weg nach Hause war, blieb noch einmal stehen. Hoch konzentriert und doch mit allem Mut flogen die beiden über die Hindernisse. Null Fehler in 36,79 Sekunden - das war am Ende der zweite Platz für Franziska Ganter und ihre Stute. Schneller ( 35,06 Sekunden) war nur Sabrina Petschke auf Calito vom Schiffbeker Reitverein. "Das war das erste Mal, dass ich einen Pokal mit nach Hause gebracht habe", sagte die Zweitplatzierter. "es waren sogar zwei, denn vorher war ich bei einem E-Springen Dritte geworden."

Hinter Franziska war Zwillingsschwester Vanessa mit ihrem Dexter Heaven in den Parcours geritten. Die beiden hatten zweimal abgeworfen. "Im vergangenen, ihrem ersten Turnierjahr, haben die beiden noch richtig Kleinholz gemacht", erzählt die Mutter und lächelt, "jetzt können wir uns gemeinsam über die ersten Erfolge freuen." Und damit die nicht zu einseitig in der Familie verteilt bleiben, haben die Zwillinge schon beschlossen, auch bei Turnieren einmal die Pferde zu wechseln. "Zu Hause beim Training machen wir das ja schon", sagte Franziska Ganter.