Nach dem Unfalltod dreier Jugendlicher steht 19-jährige Unfallfahrer Timo F. vor Gericht. Hat die Tragödie sein Verhalten geändert?

Stade . Seine Unbelehrbarkeit und seine maßlose Selbstüberschätzung hat drei jungen Menschen das Leben gekostet. Wegen fahrlässiger Tötung der 14-jährigen Marieke aus Fredenbeck und ihrer 16-jährigen Freunde Justin aus Kutenholz und Rico aus Harsefeld, muss sich Timo F. nun vor Gericht verantworten.

Amtsrichter Sebastian Hackemack und Staatsanwältin Kirsten Mahnken hörten gestern die Einschätzung des Vertreters der Jugendgerichtshilfe, Martin Laarmann, an dessen Ende jedoch kein Vorschlag zu erzieherischen Maßnahmen stand. Er schätzte jedoch ein, dass sich Timo F. der Tragweite seines fahrlässigen Handelns offenbar noch immer nicht bewusst sei, er aber dennoch nach Jugendstrafrecht beurteilt werden sollte. Auf das Freizeitverhalten des Jugendlichen nach dem Unfall ging Laarmann nicht ein, hatte es nicht hinterfragt, wie er auf Anfrage von Nebenklägervertreter Peter Riepshof einräumte.

Der heute 19-jährige Unfallfahrer, der bereits wegen zwei Verkehrsdelikten vor Jugendrichtern stand, raste am 9. November vorigen Jahres auf der Kreisstraße 70 in einer Kurve zwischen Kutenholz und Fredenbeck gegen eine Eiche. Durch die Wucht des Aufpralls zerbarst sein roter Golf in zwei Teile, die drei Jugendlichen, die auf der Rückbank saßen starben. Timo F. und sein 16-jähriger Beifahrer Mirco aus Kutenholz überlebten verletzt.

Bereits als 15- und 16-Jähriger gefährdete F. den Straßenverkehr, brach mit Freunden zu Spritztouren nach Frankfurt und Dänemark auf und stahl sich das Geld für Benzin und Verpflegung von seiner Mutter. Mit ihrer EC-Karte hob er heimlich Beträge von 500 und 1000 Euro von ihrem Konto ab. Als Timo F. mit dem Auto seiner Eltern nach Frankfurt fuhr, löste er eine

bundesweite Fahndung aus und fuhr in Hessen bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei das Auto zu Schrott. Kurz nach der ersten Verurteilung wegen Fahrens ohne Führerschein, Betrug und Diebstahls, leistete sich Timo F. sein zweites Verkehrsdelikt. Timo F. hatte also bereits vor dem Unglück einiges auf dem Kerbholz und war bei der Stader Polizei kein unbeschriebenes Blatt, so Polizeisprecher Rainer Bohmbach. "In den Jahren 2009 und 2010 wurden von Jugendschöffengerichten erzieherische Maßnahmen, Arrest und Arbeitsauflagen verhängt", zitiert Richter Hackemack aus dem Zentralregister und der Flensburger Datei. Auf das Verhalten des Jugendlichen hatte das keinen Einfluss.

Die Stimmung im Gerichtssaal ist bedrückend. Das Leid der Eltern und Angehörigen der getöteten Teenager hat sich in ihre Gesichtszüge eingebrannt. Als Nebenkläger verfolgen sie die Verhandlungen, vor sich auf dem Tisch haben sie die Portraits ihrer toten Kinder gestellt - und zwar so, dass der Unfallfahrer sie ansehen muss, sobald er den Blick hebt.

Timo F. kommt in Begleitung seines Vaters, der mit versteinerter Miene neben seinem Sohn sitzt. Mehr als dem schlaksigen Jugendlichen, der eher wie ein 14-Jähriger wirkt, ist dem Vater anzusehen, dass ihm der Tod der Unfallopfer nahe geht. Timo F. wirkt während der Verhandlungen gleichgültig, die schmalen Hände mit den abgekauten Fingernägeln nesteln an einer Aktenmappe. Nur hin und wieder verrät das Pochen seiner Halsschlagader, dass ihm die Last seiner Schuld berührt.

Die meisten Menschen im Saal kennen sich, die Familien der Opfer und die des Unfallfahrers, wie es eben auf dem Lande üblich ist. Sie äußern in Verhandlungspausen, was sie sich vom Richter erhoffen. "Für den Tod dreier junger Menschen kann es kein gerechtes Urteil geben, aber dieser Junge sollte vorerst nicht mehr am Straßenverkehr teilnehmen dürfen", sagt Ingo Schröder, ein Freund von Mariekes Eltern.

Dass Timo F.s Pflichtverteidiger Jens Hummel nun versuche, seinen Mandanten "rauszupauken" und Zeugen bringen will, die bestätigen sollen, dass Timo F. ein guter Autofahrer sei, sorgt für Unmut. Mariekes Schwester Stefanie Brinkmann (18) findet solche Beweisanträge unerträglich. "Timo geht feiern, fährt wieder Auto als sei nichts gewesen, und ich kann keine Gesten der Reue sehen", sagt die 18-Jährige Fredenbeckerin. "Er war nicht einmal bei den Eltern der Opfer, um zu sagen, dass es ihm leid tut."

"Uns ist unbegreiflich, dass er nach so einem Unfall und all den Vorfällen vor dem Unglück von seinem Vater sofort wieder ein Auto bekommen hat", sagen Julia Schumann und Clara Maria Paternoga aus Fredenbeck. Obwohl er bereits im Januar volljährig wurde, bekam er wegen dieser Delikte nach "guten Prognosen" der zuständigen Gutachter, im Oktober 2012 doch seine Fahrerlaubnis. Nur drei Wochen später geschah der Unfall, bei dem das Leben von drei jungen Menschen ausgelöscht wurde. Timos Beifahrer Mirco sagte vor Gericht, dass die Insassen im vollbesetzten roten Golf, baten, Timo möge langsamer fahren. Er habe alles unter Kontrolle, soll der jugendliche Fahrer geantwortet haben - wenige Momente vor dem Unfall.

Die Verhandlung wird fortgesetzt, das Urteil wird Anfang Juni erwartet.