In unserer Serie Im sicheren Hafen steuern wir Sportboothäfen entlang der Elbe zwischen Bleckede im Osten und Freiburg im Westen an.

Hamburg. Ein Hauch von Leonardo da Vinci und Daniel Düsentrieb liegt in den weitläufigen Hallen des Sportboothafens Holstenkaten. Er geht aus von den mitten im Raum abgestellten, rostigen Traktoren, den vielen Werkzeugkisten an den Wänden, den Metallschienen, die aus der Halle hinunter ins Wasser führen, den kleinen, komplett auseinandernehmbaren Wägelchen, allerlei anderen Vehikeln und vor allem: von den Booten, die auf Reede liegen. Es ist eine Tüftlerwerkstatt wie aus dem Bilderbuch. Ölgeruch liegt in der Luft.

Es ist laut in der Halle. Hämmer klopfen, Schleifgeräte kreischen, Scharniere quietschen. Es ist schwer, das eigene Wort zu verstehen, geschweige denn sich zu unterhalten. Die Mitglieder der Segler-Vereinigung Reiherstieg sind voll und ganz in ihrem Element. Denn zum Boot fahren gehört nicht allein das entspannte Treibenlassen auf dem Fluss, gehören nicht nur Urlaub und Sonne, sondern vor allem eines: Tüftelei.

Zeitraubende Tüftelei. Wer genug Geld und nur wenig Zeit hat, gibt seine Yacht, sobald sie nicht mehr so will, wie sie soll, in die Hände einer Werft. Doch wem das Werkeln an schmierigen Motoren und klemmenden Ketten gefällt, der bekommt mit dem Kauf eines Bootes eine neue Freizeitbeschäftigung dazu - ganz kostenlos, wenn man die Materialkosten außer Acht lässt.

"Wer einmal ein Boot besitzt, den lässt das Hobby nicht mehr los", sagt Andreas Herz, 66. Er ist seit anderthalb Jahren 2. Vorsitzender des Vereins. "Alle Skipper, die ich kenne, sind Skipper mit Herzblut." Er selbst habe sich ebenfalls vor langer Zeit von der Leidenschaft rund ums Boot infizieren lassen.

Doch ein Boot zu versorgen bedeute nun einmal mehr, als nur auf dem Wasser zu schippern. "Allen Infizierten bieten wir daher hier die Möglichkeit, ihr Hobby in allen Facetten auszuleben." Alle Facetten - vom Treibenlassen bis zur schweißtreibenden Motorenreparatur.

"Es ist sehr selten, dass ein vereinsgeführter Hafen die komplette Infrastruktur für Bootsliebhaber bieten kann", sagt Hartmut Kümpel, 1. Vorsitzender der Segler-Vereinigung Reiherstieg. Eine solch umfassende Versorgung böten sonst nur kommerzielle Marinas samt eigener Werft. "Doch wir haben etliche Bootsbauer im Verein. Schweißer, Mastbauer, Mechaniker, um nur einige zu nennen. Das hat sich glücklicherweise so ergeben und führt heute dazu, dass jeder jeden in technischen Fragen unterstützen kann."

Doch nicht allein technische Fragen werden am Hafen Holstenkaten geklärt. Ganz neue Erfindungen werden dort gemacht. "Nina" ist so eine. "Nina" könnte ein ganz normales, nicht mehr ganz taufrisches Boot sein - wären da nicht die seltsamen Anbauten, die sie an Bug und Heck trägt. Ihr voller Name, "Nina Rudi Rüssel", deutet auf den dicken Schlauch hin, der von ihrem Bug ins Wasser hängt - oder hängen würde, wenn Winter wäre. Im Sommer liegt das Boot auf dem Trockenen und zieht in der Halle der Segler-Vereinigung sofort die Blicke der überraschten Besucher an.

"'Nina' war eine Erfindung, zu der wir gezwungen waren", sagt Hartmut Kümpel. Denn wie andere Häfen entlang der Elbe auch, verschlickt der Hafen Holstenkaten durch die hohe Fließgeschwindigkeit der Elbe immer weiter. "Wir brachten vor acht Jahren also eine Egge, einen großen Rechen, an das Heck eines Bootes an. So war 'Nina' geboren."

Eggend wirkten die Vereinsmitglieder der Verschlickung entgegen. "Um die Effizienz weiter zu steigern, zogen wir einen Schlauch vom Bug bis zum Heck. Der Schlauch saugt vorn Wasser an und wirbelt hinten Schlick auf, den die Egge wegtransportiert." So wurde aus "Nina" das unkonventionelle Rüsselboot, dessen Benutzung die Hamburg Port Authority gar ganz offiziell von November bis März genehmigt. Wer außerdem beim Internet-Suchdienst Google "Hafen Eggen" eingibt, landet mit einem Klick auf das erste Ergebnis auf der Seite der Segler-Vereinigung Reiherstieg. "Nina" hat es weit gebracht. Hartmut Kümpel weiß, wie wichtig die Erfindung für seinen Verein ist. "Das Rüsselboot sichert das Überleben des Vereins. Wenn wir versanden, können wir nicht weiter existieren."

Wer am Hafen Holstenkaten mehr über Erhaltung von Lebensräumen und Naturschutz erfahren möchte, kann sich an Ocke Deutschmann wenden. Der 29-Jährige arbeitet als Nautiker auf dem 58 Meter langen Greenpeace-Großsegler "Rainbow Warrior", ist dort dritter Offizier.

Der Curslacker sagt von sich selbst, er sei in der Segler-Vereinigung Reiherstieg groß geworden. Als 14-jähriger Jugendlicher fuhr er oft mit kleineren Segelbooten auf Törns, die Mitglieder des Vereins bildeten sein soziales Umfeld. Nach dem Abitur stand er dann vor der Frage, was er in seinem Leben machen wollte. Er wählte das, was er seit der Kindheit gemacht und geliebt hatte: Er lernte Schiffsmechaniker. Das Tüfteln in den Vereinshallen ebnete seinen späteren Berufsweg.

Über die Hamburger Reederei Hapag-Lloyd ging es dann zu Greenpeace. Im Schlauchboot hat Deutschmann allerdings noch keinen Walfängern getrotzt. Vor dieser Arbeit habe er großen Respekt, sagt er - doch irgendwann müsse er sie womöglich machen. Momentan sei er vor allem auf Werbe- und Informationsfahrten unterwegs.

Bei der anstrengenden Arbeit auf dem Wasser hat sich Ocke Deutschmann etwas Freizeit redlich verdient. Doch womit füllt er seine Freizeit? Mit seinem ersten selbst finanzierten Boot, das er seit wenigen Tagen besitzt. Er ist wahrlich infiziert mit der Liebe zum Segeln. Und noch immer kehrt er gern zum Hafen Holstenkaten zurück. Auch sein neues Boot liegt dort in der Halle, um von ihm gründlich überholt zu werden. "Nichts im Verein ist anonym, man kennt einander. Außerdem ist die ganze Infrastruktur gegeben", sagt Deutschmann. "Da kommt man schnell an Material oder kann um Hilfe bitten."

Selbst ist der Mann - so lautet die Devise in der Segler-Vereinigung Reiherstieg, auch wenn sie nicht ganz freiwillig entstanden ist. Dreimal musste der Verein umziehen, vom Reiherstieg-Viertel über einen Hafen an der Oberelbe und schließlich in den Hafen Holstenkaten, in der Nähe des Friedhofes Finkenriek. Und der ist nun von Versandung geplagt. Da entsteht Erfindergeist ganz von selbst.

Am kommenden Dienstag sind wir zu Besuch im Yachtzentrum Harburg.