Küstenautobahn wird laut aktueller Studie nur zu zwei Dritteln ausgelastet sein. Grüne sehen sich in ihrer Kritik an dem Projekt bestätigt.

Berlin/Stade. Wie viele Autos benötigt eine Küstenautobahn, damit sie sich rechnet? Darüber sind sich Gegner und Befürworter der Küstenautobahn A 20 uneins. Eine Anfrage der Bundestagsabgeordneten Valerie Wilms und Sven-Christian Kindler von den Grünen an die Bundesregierung hat nun aufgezeigt, dass die Auslastung der Küstenautobahn laut den jüngsten Untersuchungen des Bundes im Durchschnitt deutlich geringer als bisher erwartet ausfallen würde.

Die Küstenautobahn würde, so die Grünen, demnach nur zu zwei Dritteln ausgelastet sein. Diese Zahlen zeigten, dass das Projekt nicht mehr benötigt werde. Die Industrie- und Handelskammer Stade (IHK) ist da ganz anderer Ansicht. Sie sieht das Projekt nach wie vor als dringend notwendig an.

Die Küstenautobahn soll künftig von Lübeck in Richtung Westen und durch einen Elbtunnel bei Drochtersen verlaufen und westlich von Bremerhaven Richtung A 1 führen. Die Prognosen des Bundesverkehrsministeriums gingen für das Jahr 2010 unter anderem für die mittlerweile fertiggestellte Strecke zwischen Genin und Lübeck von 69 700 Fahrzeugen pro Tag aus. Inzwischen habe sich, so Wilms, herausgestellt, dass lediglich 41 000 Fahrzeuge die Autobahn nutzen würden. Auf dem östlichen Abschnitt der A 20 bei Pasewalk in Mecklenburg-Vorpommern führen nur 9400 Fahrzeuge täglich. Ursprünglich wurden dort 16 200 Fahrzeuge pro Tag erwartet. "Bei so wenig Verkehr reicht eigentlich eine Landstraße", sagt die Grünen-Politikerin.

Jörg Orlemann, Geschäftsführer der IHK in Stade, will die veröffentlichten Zahlen dagegen nicht überbewerten. "Das klingt zunächst spektakulär, doch man sollte die Zahlen in ein Verhältnis setzen, sie vergleichen. Dann sieht das Ergebnis gleich anders aus", sagt Orlemann. Laut der Bundesanstalt für Straßenwesen liegt die Auslastung der überlasteten A 7 etwa bei Bispingen bei 59 000 Fahrzeugen pro Tag, auf der staugeplagten A 1 bei Bokel bei 54 000 Fahrzeugen.

"Der Vergleich zu solchen Zahlen zeigt, dass die Auslastung nicht so gering ist, wie es Frau Wilms suggerieren möchte. Sämtliche Zahlen des Bundesanstalt zeigen, dass es einen Bedarf an dieser Strecke gibt", sagt Orlemann. "Es ist auch nicht neu, dass das Verkehrsaufkommen wächst, je näher man an die Metropolen Hamburg und Bremen kommt und dass im ländlichen Raum, vor allem in Richtung Polen, der Verkehr nachlässt."

Natürlich könne die A 20 nicht mit dem Verkehrsaufkommen der A 7 im Hamburger Gebiet konkurrieren, wo sich mehr als 134 000 Fahrzeuge täglich durch den vollkommen überlasteten Elbtunnel quälen. Aber ein wesentliches Ziel der Küstenautobahn bestehe darin, die A 7 zu entlasten. Allein deshalb sei der Bau der Alternativroute nach wie vor sinnvoll.

Es gebe noch einen weiteren Grund, weshalb der Bau sinnvoll und notwendig sei, meint Orlemann. Die Rampen des Elbtunnels an der A 7 müssten in absehbarer Zeit saniert werden. Das würde erneute Teilsperrungen des Elbtunnels, ohnehin seit Jahren eine Dauerbaustelle, nach sich ziehen. Wenn dann noch der vierspurige Ausbau der A 7 bei Hamburg komme sowie die Tunnelung bei Hamburg-Stellingen, bedürfe es angemessener Ausweichstrecken. Die fehlten derzeit.

Wilms sieht das anders. Sie favorisiert einen sinnvollen Ausbau bestehender Landstraßen, Schienennetze und Wasserstraßen. "Da brauchen wir deutlich mehr Mittel", sagt sie. Es sei sinnvoller, gezielt die sogenannten Flaschenhälse etwa an Landesstraßen zu beseitigen, als eine in Teilabschnitten nur schwach genutzte Autobahn zu bauen, meint die Verkehrspolitische Sprecherin der Grünen. Zudem gehe die A 20 "völlig an der Realität vorbei".

Der Bund müsse von einer alternden Gesellschaft ausgehen und damit von langfristig sinkenden Bevölkerungszahlen, was wiederum weniger Straßenverkehr bedeute. Daher müsse sich der Bund ohnehin bei seinen Investitionen mehr der Barrierefreiheit als dem Autobahnbau widmen.

Valerie Wilms sieht das Projekt auch deswegen als Fehlplanung an, weil sich gezeigt habe, dass der neue Elbtunnel bei Drochtersen nicht finanzierbar sei. Enak Ferlemann, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium, und auch Jörg Orlemann gehen dagegen unverändert davon aus, dass das Projekt finanzierbar sei. In welcher Form, ob mit Maut oder ohne, ob von einem Konsortium oder in Kooperation mit dem Bund umgesetzt, das müsse sich noch zeigen.

Ferlemann bezeichnet eine Veröffentlichung des derzeitigen Entwurfsstandes daher als "nicht zielführend". Dies gelte auch "für die Erörterung einzelner Aspekte im derzeitigen Verfahrensstadium, wie die angebliche Höhe von Kosten beziehungsweise Mauthöhen". Grundsätzlich halte der Bund daran fest, die A 20 zügig zu planen und abschnittsweise umzusetzen.