Deichgesetz gefährdet das Ortsbild in vielen Gemeinden. Auf bauliche Veränderungen folgen für Bewohner Sondergenehmigungen.

Jork/Steinkirchen. Reetkaten oder kleine Wohnhäuser im klassischen Altländer Motivfachwerk, Gasthäuser mit Flussblick, Handwerksbetriebe und kleine Obstbau-Gehöfte direkt auf die Deiche gebaut gehören zu den klassischen Postkartenmotiven im Alten Land. Dass zahlreiche Häuser seit Jahrhunderten auf den Schutzdeichen von Este, Lühe und Schwinge stehen, könnte nun Probleme mit dem Niedersächsischen Deichgesetz (NDG) bringen, wenn dort bauliche Veränderungen notwendig werden. Jüngstes Beispiel ist ein Wohnhaus auf dem Lühedeich in Mittelnkirchen, das nach einem Feuer wieder aufgebaut werden soll. Ohne eine Sondergenehmigung des Landkreises als Untere Deichbehörde ist das - und somit der Erhalt des Ortsbildes in Mittelnkirchen - nicht möglich.

Dass eine im Jahr 2004 vollzogene Änderung im Deichgesetz Auswirkungen auf das Gesamtbild der Ortschaften im Alten Land haben könnte, befürchtet der Kreistagsabgeordnete Gerd Lefers aus Jork. Der stellvertretende Landrat, Deichrichter und Obstbauer Lefers sagt, dass bei den Deichschauen zunehmend Probleme in der Anwendung des Niedersächsischen Deichgesetzes deutlich werden. "Wenn das Gesetz bei den Schutzdeichen konsequent angewendet wird, hat dies enorme Auswirkungen auf die ortsprägenden Ansichten in den Gemeinden entlang der Deiche. Ein Bauverbot in einem Streifen von etwa 50 bis 60 Metern ab Deichfuß würde unsere Landschaft total verändern."

Dabei gehe es nicht um den Elbdeich, der als Hauptdeich laut Paragraf 2 NDG, dem Schutz eines Gebietes vor Sturmflut dienen soll, sondern um die Schutzdeiche, die oberhalb eines Sperrwerkes gebaut wurden, so Lefers. "Seit der Änderung des NDG sind die Schutzdeiche den Hauptdeichen gleichgestellt. Es gilt nun die gleiche Abstandsregelung wie bei den Hauptdeichen." Und genau darin sieht Lefers das Problem: Im Normalfall ist binnendeichs der Deichfuß, dann folgt der Deichverteidigungsweg, im Alten Land meist die Dorfstraße und anschließend ein Graben.

Nach Gesetzeslage darf hinter der deichabgewandten Straßengrenze oder dem Graben ein 50 Meter breiter Streifen nicht bebaut werden. "Selbstverständlich brauchen wir ausreichend Platz für den Deich, den Deichverteidigungsweg und einen Graben. Nicht erforderlich ist jedoch der anschließende 50 Meter breite Schutzstreifen binnendeichs", sagt der Deichexperte. Er könne sich nicht vorstellen, dass den Abgeordneten in Hannover der Tragweite dieser Gesetzesänderung bewusst war. Eine konsequente Umsetzung des NDG würde in weiten Teilen der Niederelbe Orte wie Estebrügge oder Steinkirchen nahezu auslöschen. Auch Buxtehude wäre stark betroffen. "Bisher konnte der Landkreis als Untere Deichbehörde in vielen Fällen mit Ausnahmegenehmigungen Härtefälle abmildern. Auf Dauer brauchen wir jedoch Rechtssicherheit", fordert der Politiker, der für die Freie Wählergemeinschaft im Stader Kreistag sitzt.

Auch Hans Jarck (SPD), Bürgermeister der Samtgemeinde Lühe, bekräftigt diese Forderung nach Rechtssicherheit ebenso wie sein Amtskollege Gerd Hubert aus Jork. "Wir hätten gern eine feste Regelung, eine konkrete Sicherheit auf Jahre, damit unsere über Jahrhunderte gewachsenen Orte und die so entstandene dynamische Kulturlandschaft erhalten bleibt", sagt Jarck. Das sei der Wunsch aller Bürger, die mit ihrer Wohnlage am Deich betroffen sind. Klar sei dabei auch, dass Neubauten auf Deichen ausgeschlossen sind.

Zwar habe man bisher noch nie Probleme mit dem Landkreis bei Einzelfall-Regelungen gehabt, aber allein der bürokratische Aufwand belaste Antragsteller und Behörde gleichermaßen.

Der betreffe beispielsweise Menschen, die wie jüngst nach einem Feuer in Mittelnkirchen, ihr Haus auf dem Deich wieder aufbauen wollen oder bei energetischen Nachrüstungen an Fassaden von den Entscheidungen der Unteren Deichbehörde abhängig seien. Dann stehe jedes Mal die Frage zur Debatte, ob der Gesetzgeber bereit ist, Ausnahmen zu machen. "Wir laden gern alle ein, die an der Gesetzgebung mitwirken, sich die Situation im Alten Land anzusehen", sagt Jarck. "Dann werden sie schnell erkennen, dass Paragraf 16 hier kaum umsetzbar ist."

Auch Stades Landrat Michael Roesberg sagt, dass es hilfreich wäre, wenn es im Gesetz eine Klarstellung für die Besonderheit im Alten Land gäbe. "Entscheidungen zu Ausnahmeregelungen haben wir als Landkreis bisher immer mit Augenmaß getroffen, weil auch wir das Ortsbild der Gemeinden nicht ändern wollen", sagt Roesberg. "Bestandsschutz ist uns wichtig." Gleichwohl stellt Roesberg klar, dass das Deichgesetz nicht vorsehe, die Deiche im Alten Land frei zu räumen.