Johannes Heinßen senior aus Horneburg präparierte einst selten gewordene heimische Tiere. Sein Sohn erhält sie der Nachwelt in einer Ausstellung

Horneburg. Die Vielfalt der einzigartigen Vogel- und Tierwelt Norddeutschlands und Nordeuropas können Naturfreunde in einer ganz besonderen Ausstellung in Horneburg bestaunen. Von Adler bis Ziegenmelker, von Bienenfresser bis Wiedehopf, vom Marderhund bis Fischotter reicht die Sammlung, die Familie Heinßen als ein Zeitzeugnis der Natur bewahrt und jetzt der Öffentlichkeit zugänglich macht.

"Die Sammlung ist das Lebenswerk meines Vaters", sagt Johannes Heinßen, der die Präparate in Obhut und Ehren hält. Und er hofft, dass sein Sohn mit gleichem Interesse in ferner Zukunft die Ausstellung weiterführt.

Mehr als 70 Jahre hatte sich sein Vater, ebenfalls Johannes Heinßen, der von 1903 bis 2002 lebte, dem Sammeln und Präparieren von heimischen Singvögeln und Wildtieren gewidmet. Noch im hohen Alter von 97 Jahren sei sein Vater Präparator aus Passion gewesen, so Heinßen Junior, der inzwischen selber im Rentenalter ist.

"Begonnen hat alles mit einem präparierten Eisvogel, den mein Vater aus der Sammlung einer Försterwitwe geschenkt bekam", sagt Heinßen. Das müsse so um 1920 gewesen sein und war wohl ein Schlüsselerlebnis für den damals jungen Heinßen. Das wohl mehr als 100 Jahre alte Schauexemplar ist in unvergänglicher Schönheit noch immer in der Schauvitrine zu sehen. Die kristallblauen und orangefarbenen Federn sind noch immer so frisch und schillernd, wie bei einem quicklebendigen Vogel.

Die heute seltenen Eisvögel, deren Zahl nach den vergangenen sehr strengen Wintern extrem dezimiert wurde, sind überaus scheu und können nur selten im Auetal bei Horneburg und an bestimmten wassernahen Lebensräumen beobachtet werden. In Heinßens Ausstellung können Interessierte in Ruhe alle Feinheiten der Federzeichnung und Farben betrachten.

Ebenso wie auch weitere faszinierende Seltenheiten. Zum Beispiel eine Blauracke, mit unverkennbarer Farbzeichnung in Türkis, Kobaltblau und Braun. Weitere Designerstücke von Mutter Natur sind der ein bisschen exotisch gefärbte Bienenfresser, Blaukehlchen, Blaumerle oder eine Sturmschwalbe. Wie frisch aus dem Haarstudio präsentiert sich der Seidenschwanz in edlem Braun mit schwarzer Kehle.

Im Federkleid unscheinbar hingegen ist der in die Schlagzeilen geratene "Wachtelkönig", den Vogelkundler auch als Wiesenralle, lateinisch Crex crex, oder Wiesenknarrer bezeichnen. In den Farben einer graubraunen Herbstwiese ist er ideal an seinen Lebensraum angepasst und bestens vor Feinden getarnt.

Mit ihm ist es ähnlich, wie mit dem Kuckuck: Fast jeder hat schon einmal in Feld und Flur einen Kuckuck während der Balzzeit im April gehört, aber kaum jemand hat den fast taubengroßen Brutschmarotzer, der kein eigenes Nest baut und seine Eier anderen Vögeln unterschiebt, in freier Natur wirklich zu Gesicht bekommen.

In der Präparatensammlung kann man ein Kuckuck-Paar sehr schön vergleichen: Das Männchen mit grauem Kopf und grauer Brust und dem ähnlich wie bei einem Sperber oder Habicht quer gebänderten Bauch. Daneben das eher unscheinbare Weibchen, bei dem auch die Kehle ansatzweise gebändert ist. Eine ganze Vitrine ist der sprichwörtlichen Weisheit gewidmet. Vom Uhu bis zur Sumpfohreule, vom Steinkauz bis zur Sperbereule reicht die Sammlung der lautlosen Nachtjäger, die den Betrachter mit großen Augen fixieren. Beeindruckend ist auch der Größenvergleich zwischen einem gut vier Kilogramm schweren Seeadler und einem vier Gramm leichten Wintergoldhähnchen.

Das Beste an einem Besuch der Ausstellung sind die Geschichten, die Johannes Heinßen zu fast jedem der in Vitrinen und Schaukästen akribisch angeordneten und katalogisierten Exponate zu erzählen weiß.

Etwa die vom wohl letzten Fischotter in der Aue bei Horneburg. Vor etwa 45 Jahren griff ein Jagdhund den Otter, der die Attacke nicht überlebte und das stattliche Exemplar kam so in die Hände von Heinßen.

Der machte mit handwerklichem Können und Fachwissen ein Anschauungsobjekt daraus, das heute daran erinnert, wie viele Tierarten schon Jahrzehnte nicht mehr in ihren heimischen Lebensräumen existieren können.

Der Präparator Heinßen war, wie seine Vorfahren Pferdehändler und Landwirt. "Aber er hatte eine große Begabung zum Zeichnen", sagt sein Sohn. Das sei wohl die wichtigste Voraussetzung, die Tiere natürlich und in arttypischen Haltungen zu präparieren.

Wann immer dem Präparator verendete Tiere, die noch einigermaßen gut erhalten waren, von Jägern, Nachbarn, Freunden gebracht wurden, machte er sie quasi unsterblich und erhielt sie der Nachwelt. Ein glücklicher Umstand war es, dass Heinßens Nachbar Lehrer war. "Die Kinder brachten ihre Funde, Schlangen und Kröten, Vogeleier und Insekten, Schmetterlinge, Mauswiesel oder Marder mit in die Schule, um mit ihrem Lehrer alles Wissenswerte darüber zu ergründen. Anschließend brachte der Lehrer sie meinem Vater, der sich sogleich ans Präparieren machte", erinnert sich Heinßen. Als Junge habe er selbst oft und gern dabei zugesehen, wenn die Kunstwerke entstanden. Es bedarf meisterlicher Fingerfertigkeit, einen Zaunkönig, ein Wintergoldhähnchen aber auch einen Schwan zu präparieren. "Aus ganz besonderem, hellem Torf schnitzte mein Vater die Körper, durchzog sie mit feinen Drähten, damit die Tiere und Vögel in lebensnaher Haltung stabilisiert werden konnten", sagt Heinßen.

Auch beim Sezieren und Abtrennen der Haut samt Fell oder Federn hat jeder Präparator sein Geheimnis. Alaun und Salz gehörten zu den unentbehrlichen Elixieren, um die Stücke zu bearbeiten, etwa Muskeln zu modellieren, Kopf, Ohren und Körper in gewünschte Haltungen zu bringen und dauerhaft haltbar zu machen. Die passenden Augen sind aus Glas, das es schon damals in Spezialgeschäften gab.

Früher habe man mit einer Arsenmixtur die Tierhaut von innen konserviert, heute werde "Eulan" verwendet, so Heinßen. "Das ist sehr wichtig, damit kein Ungeziefer, etwa Motten sich in Pelz oder Federn einnisten und das Präparat ruinieren." Auch beim Trocknen der Exemplare sind Sorgfalt und Know-how gefragt. Kleine Singvögel, wie Kleiber, Stieglitz oder Sumpfmeise brauchen nur ein paar Tage, große Pelztiere bis zu drei Wochen bei idealem Raumklima.

Dafür sorgt Johannes Heinßen auch penibel in dem kleinen Ausstellungsraum, damit die kostbaren Präparate und Vogeleiersammlungen in den Vitrinen keinen Schaden nehmen. Luftzirkulation und passende Temperatur sind entscheidend, Feuchtigkeit wäre das blanke Gift für die Sammlung. Zu ihr gehören 381 Vögel, 108 Vogeleier und 40 Pelztiere.

Sie wird von Anwärtern für die Jägerprüfung ebenso besucht, wie von Ornithologen und Naturfreunden jeden Alters. Die Fülle der Vitrinen im begrenzten Raum setzt allerdings der Besucherzahl in Gruppen Grenzen. Bis zu fünf Leute sei die ideale Gruppenstärke, so Heinßen. Für komplette Schulklassen ist die Ausstellung ebenso ungeeignet wie für Kinder unter zehn Jahren. "Besser ist es, wenn die Eltern mit ihren Kindern kommen", sagt Heinßen. Sie erfahren dann auch von ihm, was ein Gryllteist ist, woher die Papageientaucher kommen oder woran man einen Pirol erkennt. Der Eintritt in die Horneburger Vogelsammlung ist kostenfrei, eine Anmeldung unter Telefon 04163/217 ist jedoch erforderlich.

Genau wie sein Vater war Johannes Heinßen Landwirt und kein Jäger. Er war vor seinem Ruhestand 17 Jahre beim Naturschutzamt des Landkreises tätig. So kennt er alle Bestimmungen, die Präparatoren heute einhalten müssen, wenn sie ein Tier zum Präparieren bekommen wollen. Die Einhaltung des Natur- und Artenschutzes steht dabei ebenso im Vordergrund wie Öffentlichkeitsarbeit.