Weil vor allem die Physiklehrer fehlen, sind Unterrichtsausfälle an der Tagesordnung. Dabei kann das Fach für Schüler durchaus attraktiv sein

Stade/Buxtehude. Mathe mangelhaft - so könnte man eines der Ergebnisse der kürzlich veröffentlichten Bildungsstudie der Bertelsmann-Stiftung für viele niedersächsische Landkreise überspitzt formulieren. Wie das Abendblatt berichtete, sind in dem sogenannten Deutschen Lernatlas 2011 die Stärken und Schwächen der Lernbedingungen in den 412 Kreisen und kreisfreien Städte Deutschlands genau aufgezeigt worden. Der Landkreis Stade rangiert in der Gruppe der Landkreise mit einer hohen Einwohnerdichte, der insgesamt 144 Landkreise zugeordnet sind, auf einem eher mittelprächtigen 115. Platz. Aufgeteilt wurde die Untersuchung auf die vier Bereiche schulisches, berufliches, soziales und persönliches Lernen.

Wie aber kann es sein, dass bei den Kindern und Jugendlichen gerade in den Bereichen Mathe und Naturwissenschaft starke Defizite enstehen? Kann vielleicht niemand mehr eins und eins zusammenzählen, weil jeder fünfe gerade sein lässt? Dass an den Schulen Niedersachsens insbesondere in den MINT-Fächern, also Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik, ein großer Mangel herrscht, ist nicht neu. "Die Schulbehörde unternimmt viel, damit gerade dort neue Lehrer nachrücken", sagt Susanne Strätz, Pressesprecherin der Niedersächsischen Landesschulbehörde. So werden junge Lehrer gezielt darauf aufmerksam gemacht, Mathe oder Physik zu wählen, außerdem soll bereits in der Grundschule das Interesse an den Naturwissenschaften geweckt werden.

Einen echten Konfliktfall mit vielen Beschwerden gebe es nach ihren Informationen derzeit im Landkreis Stade nicht, erklärt die Pressesprecherin. Fakt sei aber, dass vor allem Physik ein absolutes Mangelfach sei - und nicht etwa Chemie oder Biologie. Konkrete Zahlen kann sie aber nicht nennen. Auch wenn die Landesschulbehörde derzeit so flexibel wie noch nie handele und Quereinsteiger stark umwerbe, könne nicht immer ein Vertretungslehrer organisiert werden. "Wir können uns keinen Physiklehrer backen."

Damit die Schulen für die Zukunft besser gerüstet sind, müsse der Lehrerberuf attraktiver werden, sagt Volker Pabst vom Stader Kreisverband der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW). "Speziell die Lehrer mit Mangelfächern wissen um ihren hohen Marktwert." Deshalb müsse man sie ködern und bei den Ausbildungsbedingungen ansetzen. Kleine Lerngruppe, ein Seminarort, der in der Nähe liege, all das seien Möglichkeiten. Ansonsten sei es gerade für den ländlichen Raum schwer, im Wettkampf mit den Schulen in den Ballungsräumen zu bestehen.

Um auf aktuelle Notsituationen zu reagieren, bleibe lediglich die Fortbildung von Quereinsteigern oder die Einarbeitung von fachfremden Lehrern in die jeweiligen Bereiche. Vor allem bei Quereinsteigern gebe es jedoch viele Leute, die nach einer gewissen Zeit merken, dass ihnen die pädagogischen Kompetenzen fehlen. Sie verwerfen dann ihren Plan, Lehrer zu werden.

"Die Landesschulbehörden beugen dem Notstand nicht vor", sagt Uwe Weski, erster Vorsitzender des Kreiselternrats Stade. Besonders an Haupt- und Realschulen würden Lehrer in den MINT-Fächern fehlen, an den Gymnasien sei die Lage weniger ernst. Wenn das alles so bleibe, würden die Eltern sicherlich auf die Barrikaden gehen.

Weski fragt: "Wie soll sich ein Schüler um einen Ausbildungsplatz in einem Technikberuf bewerben, wenn in seinem Zeugnis beim Fach Physik regelmäßig steht: ,Wurde in diesem Halbjahr nicht erteilt?' Da hat er doch überhaupt keine Chance". Dabei gebe es für jeden einen Anspruch auf Bildung. Zusätzlich dazu führe das Ganze zwangsläufig dazu, dass es immer weniger qualifiziertes Personal in den Ingenieursberufen gebe.

"Seit vielen Jahren können wir in diesem Jahr erstmals wieder den Physikunterricht komplett anbieten", sagt Martin Niestroj, als stellvertretender Schulleiter des Stader Vincent-Lübeck-Gymnasiums sozusagen ein Mann der Praxis. Grund dafür ist, dass der doppelte Abiturjahrgang jetzt die Schule verlassen habe und die Schülerzahl gesunken sei. In den oberen Jahrgängen wurde das Fach aber immer angeboten, es waren eher die unteren Jahrgänge von Klasse sechs an, in denen das Fach in der Vergangenheit häufiger ausfiel.

Der Teufelskreis ist offensichtlich: Je seltener Fächer wie Physik unterrichtet werden, desto weniger junge Leute gibt es, bei denen überhaupt das Interesse daran geweckt wird, damit sie später Ingenieure oder Lehrer werden können. Mit Angeboten über den Unterricht hinaus versucht etwa das Projekt "Bildung vor Ort" im Landkreis Stade entgegenzusteuern. "Wir bieten den Schulen Experimentier-AGs oder MINT-Paten an", sagt Elke Weh, zuständig für die Nachwuchsförderung in den MINT-Berufen. Sechs Schulen im Landkreis würden die AGs nutzen, bei den Paten gebe es derzeit vier Personen, die regelmäßig in die Schulen gehen. "Da suchen wir noch mehr."

Wichtig sei, dass das Interesse an den Naturwissenschaften vor der Pubertät geweckt werde. In vielen Grundschulen geschehe das auch vorbildlich, aber dann breche es oft ein. "Im Unterricht muss es knallen und zischen" sagt sie. Dann blieben die Schüler auch bei der Stange. Wenn es dort ein Umdenken gebe, sei schon viel getan.