Landgericht verurteilt 27-jährigen Drogenabhängigen. Er hatte vor einem Jahr einen Stader Familienvater schwer verletzt

Stade. Victor P. atmet schwer, als der Stader Richter Rolf Armbrecht das Urteil verkündet und begründet. Im Gesicht des Angeklagten ist hingegen kaum eine Reaktion zu sehen. Der 27-jährige Hamburger muss für vier Jahre und zwei Monate ins Gefängnis, weil er am 3. August 2010 am Stader Bahnhof ein Auto aufbrach und dessen Besitzer mit acht Messerstichen schwer verletzte, nachdem der ihn erwischt hatte.

Etwa seitdem er 14 Jahre alt ist, konsumiert Victor P. regelmäßig Heroin. So war es auch am Tag der Tat. Er kaufte sich am Hamburger Hauptbahnhof einen Gramm Heroin, was er dort auch sofort konsumierte. Er hatte ein Messer dabei, weil es gefährlich sein kann, sich in der Hamburger Drogenszene zu bewegen. Dann wollte der 27-jährige mit der S-Bahn nach Fischbek, wo er mit seiner Verlobten wohnt.

In Neugraben schlief er ein, wachte erst in Stade wieder auf. Dort musste Victor P. knapp eine Stunde warten, bis die nächste S-Bahn Richtung Hamburg fuhr. Der Drogenabhängige erkundete das nähere Bahnhofsumfeld in Stade, auf der Suche nach Bargeld oder Dingen, die er zu Geld machen kann. Auf dem Parkplatz am Bahnhof entdeckte er in einer dunklen und einsamen Ecke den Ford Focus Kombi des 51-jährigen Staders Harry Lohmann.

P. nahm einen Stein, schlug die Fensterscheibe ein und suchte nach Wertgegenständen. Er steckte die Fahrzeugpapiere von Harry Lohmann ein, als dieser plötzlich auftauchte und den Autoknacker auf frischer Tat ertappte. P. versuchte zu flüchten, wurde aber von Lohmann gestellt. "Dann nahm das Kampfgeschehen seinen Lauf", fasste der Vorsitzende Richter Armbrecht zusammen. P. versuchte immer wieder zu flüchten, Lohmann ihn festzuhalten. Dabei schlug Lohmann dem 27-Jährigen mit der Faust auf die Nase und brach ihm das Nasenbein.

Als Victor P. zum wiederholten Male im Haltegriff von Harry Lohmann feststeckte, gab er vor, keine Luft zu bekommen, weil er Asthma habe. In seinem Geständnis steht, dass er Angst um sein Leben gehabt habe. In diesem Punkt sei P. jedoch nicht ganz überzeugend gewesen, sagte Richter Armbrecht. Die Kammer befand, dass sich P. nicht in einer "notstandsähnlichen Situation" befunden habe.

Letztlich verurteilte die Strafkammer den Angeklagten zu einer Haftstrafe von drei Jahren und vier Monaten wegen Diebstahls mit Waffe und gefährlicher Körperverletzung. Weil die Kammer ein vorheriges Urteil des Amtsgerichts Harburg hinzuzog, muss P. für vier Jahre und zwei Monate ins Gefängnis. Ein Tötungsvorsatz sei dem Angeklagten nicht zweifelsfrei nachzuweisen, sagte Richter Armbrecht. Strafmildernd wirkten sich laut des Vorsitzenden der Kammer das umfangreiche Geständnis, die Bereitschaft des Angeklagten, Fragen zu beantworten, sowie der bisherige Lebensweg des 27-Jährigen aus. Schließlich habe die frühe Drogenabhängigkeit den jungen Mann in seiner Entwicklung behindert. Deshalb ordnete das Gericht nun auch eine Drogentherapie an. "Man kann nur hoffen, dass sie das Drogenproblem in den Griff bekommen", sagte Armbrecht.

Verteidiger Wolfgang Wiedemann konnte gestern noch nicht abschließend sagen, ob er Revision einlegen werde. Seiner Meinung nach sei ein nach Paragraf 35 Strafgesetzbuch entschuldigender Notstand gegeben. Deshalb neige er dazu, dem Urteil zu widersprechen. Allerdings gehe es dabei lediglich um die Höhe der Strafe. Opfer Harry Lohmann war nach dem Urteil froh, dass der Prozess vorbei ist: "Die innere Anspannung ist weg." Der 51-Jährige ist zufrieden mit dem Urteil. Ihm sei es wichtig gewesen, dass der Täter verurteilt wird, das Strafmaß habe für ihn eine untergeordnete Rolle gespielt.