Vom 13. bis zum 27. August findet in Stade das bereits das elfte “Holk-Fest“ statt. Im Rahmen des Festes gastiert Nikolai Kinski, der Sohn des Schauspielers Klaus Kinski, am 20. August in der Solarhalle im CFK Forschungszentrum Stade-Nord. Kinski über den Schriftsteller Hermann Hesse, dessen Gedichte er beim Stader Holkfest rezitiert.

Stade. Vom 13. bis zum 27. August findet in Stade das bereits das elfte "Holk-Fest" statt. Im Rahmen des Festes gastiert Nikolai Kinski, der Sohn des Schauspielers Klaus Kinski, am 20. August in der Solarhalle im CFK Forschungszentrum Stade-Nord, Ottenbecker Damm 12. ,,Jede Nacht der gleiche Jammer!" heißt sein Programm, in dem er Gedichte von Hermann Hesse rezitiert. Er hat es bisher erst einmal aufgeführt. Im Interview sprach er vorab über seine Faszination für Hesse.

Hamburger Abendblatt:

Herr Kinski, können Sie sich noch erinnern, wann Sie Hermann Hesse für sich entdeckt haben?

Nikolai Kinski:

Noch in der Schule, ich muss 17 oder 18 gewesen sein. Damals sprach ich noch kein Deutsch, ich habe ihn also zunächst auf Englisch gelesen.

Abendblatt:

Was hat Sie an ihm und seinem Werk fasziniert?

Kinski:

Hauptsächlich die Radikalität des "Steppenwolfes". Die Rebellion Hesses in seiner Midlife-Crisis taugt ebenso für die Krise, die man bewältigen muss, um erwachsen zu werden. Es gibt wenige bekannte Bücher, die diesen Zweck erfüllen. Wahrscheinlich ist deshalb "Der Fänger im Roggen" so einzigartig.

Abendblatt:

Wie kamen Sie auf die Idee für diesen Rezitationsabend?

Kinski:

Suhrkamp hatte mir das Buch "Krisis" geschenkt. Mir fiel auf, dass ich aus den Gedichten eine Art Monolog basteln kann, wenn ich sie neu ordne, einige weglasse und ein paar wenige aus anderen Gedichtbänden von Hesse hinzufüge.

Abendblatt:

In Ihrem Programm lesen Sie vor allem Gedichte, die Hesse zur Zeit der Entstehung des Steppenwolfs geschrieben hat, eine Phase, in der er sich in Suff und Selbstmitleid geflüchtet hat...

Kinski:

Verzeihen Sie bitte, aber hier muss ich Sie kurz unterbrechen, damit kein falscher Eindruck entsteht. Ich rezitiere frei, manchmal singe ich auch, aber lesen tue ich nicht, auch wenn es an zwei Stellen des Programms aus dramaturgischen Gründen so aussieht.

Abendblatt:

Verstehe. Wie würden Sie Ihrem Publikum den Hesse beschreiben, der sie in Ihrem Programm erwartet?

Kinski:

Ein zynischer Misanthrop, Saufbold und Weiberheld, der wenig von der Ausgeglichenheit seiner anderen Arbeiten hat und auch dem Bild vom besonnenen Nobelpreisträger spottet.

Abendblatt:

Im "Steppenwolf" geht es um das tiefe, seelische Leiden der Hauptfigur Harry Haller. Spiegeln das auch die Gedichte wider, die Sie vortragen?

Kinski:

Ja, wobei die Gedichte noch direkter Hesse meinen, ohne das literarische Alter Ego Harry Haller auskommen. Hier spricht Hesse über Hesse, ich leihe ihm nur meine Stimme und meine Interpretation.

Abendblatt:

Was mögen Sie ausgerechnet an den Hesse-Gedichten aus dieser Zeit so besonders?

Kinski:

Wenn vermeintliche Götter in unserem ganz gewöhnlichen Alltag straucheln, ist die Fallhöhe interessanter als bei Dir, mir und wahrscheinlich auch den meisten meiner Zuschauer. Die Verse sind keine abstrakte Dichtung, sondern sehr real.

Abendblatt:

Hesse selbst nannte sie "Knittelverse". Was sind diese Gedichte für Sie?

Kinski:

Knittelverse!

Abendblatt:

Nach welchen Kriterien haben Sie die Beiträge ausgewählt?

Kinski:

Das Programm sollte, wie gesagt, einem Monolog ähneln. Ich spreche die Überschriften nicht und mache selten Pausen zwischen den Gedichten. Das Publikum weiß also meistens gar nicht, wann ein Gedicht aufhört und wann das nächste anfängt. So entfaltet sich im Idealfall ein Sog, der den Zuschauer vergessen lässt, dass er gerade einzelne Gedichte hört. Bei der Premiere hat mir ein Kollege hinterher gesagt, dass das ja fast schon eher ein Ein-Personen-Stück sei, als ein Gedichte-Abend.

Abendblatt:

Warum wählten Sie den Titel "Jede Nacht der gleiche Jammer", eine Zeile aus dem Gedicht "Jede Nacht"?

Kinski:

Weil er nicht nur die fortwährende Krise beinhaltet, sondern mir auch erlaubt, Hesses Zynik gleich über mein ganzes Programm zu streifen. Wer tritt schon freiwillig unter so einem Titel auf und meint es ernst?

Abendblatt:

Welches der Stücke, die Sie vortragen, ist Ihr Lieblingsgedicht von Hermann Hesse und warum?

Kinski:

Als Schauspieler möchte ich mich nicht zu sehr mit Geschmack beschränken, für alles aufgeschlossen sein, was künstlerisch reizvoll sein kann. Deswegen denke ich nicht in solchen Kriterien. Ich ärgere mich sogar jedes Mal, wenn ich bei einem Filmstart gefragt werde, "wie viel von mir denn in der Rolle sei". Mein Job ist der, jemand anderen glaubwürdig zu verkörpern. Mich selbst möchte ich nicht spielen und auch nicht meinen Geschmack ausstellen. Es könnte doch auch sein, dass ich die Gedichte persönlich gar nicht mag, aber als Schauspieler für eine sehr reizvolle Auseinandersetzung halte, mit jemandem, der ich nicht bin, und dessen Versen. Meine private Meinung könnte also sogar die Illusion zerstören, die ich beruflich mühsam aufbaue. Deshalb trenne ich sehr genau zwischen meiner privaten Person und dem öffentlichen Schauspieler. Über Letzteren können wir reden.

Abendblatt:

Sie haben Schauspiel studiert, hatten Ihre erste Rolle im Alter von elf. Was reizt Sie heute mehr - eine Filmrolle oder ein Rezitationsabend wie dieser?

Kinski:

Ich liebe meinen Beruf in seiner ganzen Vielfalt. Aber Film steht bei mir tatsächlich über allem. Da hat man die Gelegenheit, ganz nebenbei auch noch andere Länder und Kulturen kennen zu lernen, mit Anregungen, die einen weiter öffnen und verbessern können.

Abendblatt:

Sie sind in Amerika aufgewachsen. Als sie 2001 das erste Mal nach Deutschland kamen, hat die Kultur Sie sofort begeistert. Gilt das auch, oder vielleicht sogar vor allem, für die Literatur?

Kinski:

Literatur ist für mich ein integraler Bestandteil von Kultur. Wie alle Künste.

Abendblatt:

Erst damals haben Sie angefangen, Deutsch zu lernen. Waren Sie besonders motiviert, Deutsch zu lernen, damit Sie sich mit der Literatur beschäftigen können?

Kinski:

Es war eine sinnvolle Erweiterung meiner Möglichkeiten. In einer fremden Sprache arbeiten zu können ist für mich als Schauspieler eine unglaubliche Erfahrung. Ich frische gerade mein Französisch auf. Ich bin in Paris geboren, das war mal meine Erstsprache und ich würde wahnsinnig gerne bald auch mit ihr arbeiten. Dass man die Literatur dann auch ohne Übersetzung lesen kann ist sehr geil, aber eigentlich ein Abfallprodukt des eigentlichen Ziels.

Abendblatt:

Bei Ihrem letzten Rezitationsabend, bei dem Sie Gedichte Ihres Vaters vorgetragen haben, sind Sie durch ganz Deutschland getourt. Ihren Hesse-Abend haben Sie bis jetzt erst einmal, 2010 in Berlin aufgeführt. Gibt es einen Grund dafür, dass Sie dieses Programm so selten aufführen?

Kinski:

Ja, den gibt es. Ich war damals sechs Wochen am Stück jeden Abend in einer anderen Stadt auf der Bühne. Nur um den Tag der deutschen Einheit herum gab es eine kleine Pause. Ich habe deshalb ein sehr reizvolles Filmprojekt verloren, für das ich die zweite Hälfte der Tour hätte absagen müssen. Das hätte ich aber nicht fair gefunden, so viele Leute, die bereits Karten gekauft hatten, da in Mitleidenschaft zu ziehen. Einen einzelnen Termin kann man leichter mal verschieben oder drum herum filmen. Deshalb mache ich nur ab und an einzelne Termine. Und nur in den Häusern, die von selbst anfragen.