Der ehemalige Vorsitzende des Harsefelder CDU-Ortsverbands soll seine früheren Geschäftspartner betrogen haben.

Harsefeld/Wiesbaden. Konnte die Harsefelder CDU von den geschäftlichen Verstrickungen und mutmaßlichen Verfehlungen ihres ehemaligen Ortsverbandsvorsitzenden etwas wissen? Die Harsefelder CDU-Spitze zeigte sich von den Vorwürfen der Staatsanwaltschaft gegen den Harsefelder Geschäftsmann überrascht und erklärte, sie habe nichts von den geschäftlichen Verstrickungen Michael Marschlers gewusst. Und das aus gutem Grund, denn die Spuren Michael Marschlers sind verworren und schwer zu rekonstruieren.

Die Recherchen des Hamburger Abendblatt haben ergeben, dass Marschler Geschäftsführer von mindestens vier Unternehmen war, die nicht mehr existieren. Bei drei weitere Firmen wird Marschler derzeit offiziell als Geschäftsführer genannt. Darunter befindet sich eine Holding, ein Pharma-Beratungsunternehmen und eine Firma, die Luxusjachten verkauft.

Marschler gründete in den 1990er Jahren die MI Marschler Informatik GmbH. Das Unternehmen war zuletzt in Wiesbaden angemeldet. Das laut Bloomberg Businessweek noch als aktiv gemeldete Unternehmen war auf EDV-Dienstleistungen spezialisiert, wurde aber laut den Unterlagen, die dem Abendblatt vorliegen, am 31. Dezember 1999 auf dem Namen ITEM AG umfirmiert. Diese sollte an die Börse gehen, aufgrund der Entwicklungen am Neuen Markt wurde dieser Börsengang aber vorerst verschoben. Ein ehemaliges Vorstandsmitglied der ITEM AG glaubt, dass der wahre Grund eine bereits damals geheim gehaltene drohende Zahlungsunfähigkeit des Unternehmens war.

Zum 1. Dezember 2001 wurde die ITEM AG unter Beteiligung Marschlers zu einer Holding umgewandelt, unter der mehrere Tochterfirmen angesiedelt wurden. Unter anderem die ITEM Solutions AG, die von der ITEM AG von da an Projekte übernahm. Zu diesem Zeitpunkt soll laut einem im Juli 2002 verfassten Wirtschaftsprüfer-Gutachten die Finanzlage der ITEM AG desaströs gewesen sein.

Seit Februar 2001 sollen Michael Marschler und seine Frau Rita, die ebenfalls im Vorstand der ITEM AG war, von dem Wirtschaftsprüferbüro mehrfach auf die "Möglichkeit des Vorliegens eines Insolvenzantragsgrundes" hingewiesen worden sein. Im März 2002 konnten laut dem Gutachten die laufenden Mietzahlungen nicht mehr beglichen werden.

In der Folgezeit wurden laut dem Gutachten "eine Vielzahl von Gerichtsverfahren beim Amts- und Landgericht Wiesbaden" gegen die ITEM AG eingeleitet, da diese ihren zahlreichen Zahlungsverpflichtungen nicht nachgekommen sein soll. Im März 2002, zu einem Zeitpunkt, als das Unternehmen insolvent gewesen sein soll, habe sich das Unternehmen laut dem Sachverständigen "sogar aufgrund einer strafbaren Handlung Liquidität in einer Größenordnung von 77 230,13 Euro verschafft".

Das sieht auch die Wiesbadener Staatsanwaltschaft so. Laut der Anklageschrift wird der ITEM AG in diesem speziellen Fall vorgeworfen, einen Leasingvertrag über diverse Computerhardware - vor allem Internetserver - mit der DLM Mobilien Leasing GmbH & Co. KG abgeschlossen zu haben. Der Verkäufer der Ware war ein drittes Unternehmen, die Technical Consulting Keilig, welche die Geräte wiederum von der GfBO GmbH, der späteren ITEM Solutions GmbH und Tochter der ITEM AG Holding, angekauft haben soll. Geschäftsführerin der ITEM Solutions war nach den dem Abendblatt vorliegenden Unterlagen Rita Marschler.

Die von Technical Consulting Keilig gestellte Rechnung wurde von der ITEM AG an das Leasingunternehmen DLM weitergereicht. Diese zahlte den Rechnungsbetrag an Keilig aus, nachdem bei der DLM eine entsprechende Übernahmebestätigung vorlag. Ein Mitarbeiter von Keilig soll das Geld dann an Rita Marschler weitergegeben haben. Die gestellte Rechnung sei, so die Staatsanwaltschaft, "in Absprache mit dem Beschuldigten Marschler fingiert" gewesen, die aufgelistete Hardware habe nie existiert und sei nie geliefert worden.

Auch die Panthus Leasing GmbH wurde laut der Staatsanwaltschaft mit fingierten Rechnungen für nicht gelieferte Computerhardware betrogen. Weiterhin seien von Michael und Rita Marschler die ECS International Deutschland GmbH und die Süd-Leasing GmbH auf ähnliche Weise um ihr Geld gebracht worden. In allen Fällen sei die offiziell gelieferte und bezahlte Hardware bei Untersuchungen infolge der Strafanzeigen nirgends anzufinden gewesen.

Im Jahr 2003, als die Strafanzeigen gegen Marschler bereits vorlagen, stieg der Geschäftsmann in das Unternehmen Nest GmbH ein. Seinem Geschäftspartner habe er sich als Geschädigter, nicht als mutmaßlich Schuldiger präsentiert. "Ich hatte ihm damals geglaubt, er wirkte auf mich zunächst glaubwürdig", so Michael Deuringer, ehemaliges Vorstandsmitglied der Nest GmbH. Deuringer erklärte gegenüber dem Abendblatt, dass er Marschler damals völlig falsch eingeschätzt habe.

Ihm sei wegen Marschler ein Schaden von etwa 300 000 Euro entstanden, die Nest GmbH ging wenige Jahre nach dem Einstieg Marschlers ebenfalls in die Insolvenz. "Mein Problem ist nur, dass ich nicht hieb- und stichfest vor Gericht beweisen kann, dass Marschler mir dieses Geld schuldet", sagt der Wiesbadener.

Nach Aussage des Notars Klaus-Jürgen Götz-Weil und der beiden ehemaligen Geschäftspartner Marschlers, Michael Deuringers und Helmut Ohle, sei der Harsefelder, nachdem die ITEM AG und die Nest GmbH in die Insolvenz gerieten, überraschend schnell von der Bildfläche verschwunden. Ein Ermittlungsverfahren der Wiesbadener Staatsanwaltschaft sei verzögert worden, da der Wohnsitz der Familie Marschler ab Oktober 2003 als unbekannt galt. Die Ermittlungen der Polizei führten nach Frankreich, wo Marschler sich inkognito eine Wohnung im Namen der Nest GmbH besorgt haben soll, die er nicht bewohnte, um dort seine private Insolvenz abzuwickeln. Marschlers Ziel sei es gewesen, so seine ehemaligen Geschäftspartner, das Insolvenzverfahren zu beschleunigen und für sich einfacher zu gestalten.

In Deutschland ist eine Privatinsolvenz mit strikten Auflagen verbunden und dauert für gewöhnlich sieben Jahre. In Frankreich hingegen kann aufgrund einer Sonderregelung in Elsass-Lothringen eine Privatinsolvenz innerhalb von gerade einmal zwölf Monaten abgewickelt werden.

Kurz vor seiner Insolvenz, am 25. September 2002, habe Marschler ein neues Unternehmen gegründet: Die Facio Europe Ltd. Das Unternehmen, das in Bristol gemeldet ist, wird laut dem Firmeninformationsportal levelbusiness.com seit dem 18. Februar 2003 von Michael Marschler als Direktor geführt. Seine Frau Rita soll dort seit 1. November 2009 als Sekretärin des Unternehmens angestellt sein. Die Facio Europe Ltd. hat sich demnach als Dienstleister für mittelständische Pharmaunternehmen aufgestellt. Ein zweites Unternehmen hat Marschler vor etwa vier Jahren gegründet: Avalon Yachts. Das Unternehmen, dessen Vorsitzender Marschler ist, vermittelt Luxusjachten.

2007 nahm Marschler bei einer Veranstaltung mit dem Münchner Jachtdesigner Joachim Kinder Kontakt auf. "Ich habe seit etwa einem Jahr nichts mehr von ihm gehört, ich warte eigentlich immer noch auf Aufträge von Herrn Marschler. Inzwischen mache ich mir aber keine großen Hoffnungen, dass da noch etwas kommen könnte", so Kinder. Marschler habe beim ersten Treffen recht sympathisch gewirkt, danach habe er aber einen "zunehmend suspekten Eindruck" hinterlassen.

Über Marschlers jüngstes bekanntes Projekt, die Pharmcon GmbH in Harsefeld, ist wenig bekannt. Das Unternehmen wirbt mit Dienstleistungen für Pharmaunternehmen, am Briefkasten prangen zwei kleine Aufkleber auf denen Pharmcon und einmal Facio Europe steht. Hinweise auf ein größeres Unternehmen gibt es nicht. Dass es sich bei Pharmcon um ein seriöses Unternehmen handeln würde, glauben weder Ohle, noch Deuringer. Marschler habe, so behaupten die beiden, keinerlei Kenntnisse von der Pharmaziebranche.