Das Gewölbe wurde bereits 1305 gebaut. Doch der älteste Weinkeller Deutschlands ist er damit allerdings noch lange nicht

Stade/Bremen. Timo Tölle ist zufrieden. Der Betriebsleiter vom Stader Ratskeller hat recherchiert und eine sagenhafte Entdeckung gemacht: Der Weinkeller unter dem Stader Rathaus ist fast 100 Jahre älter als der berühmte Ratskeller in Bremen. Und der hat, da ist sich Tölle sicher, doch stets damit geworben, der älteste Weinkeller Deutschlands zu sein. "Grandios", denkt sich Tölle. In seiner Euphorie ernennt er den Stader Weinkeller kurzerhand zum ältesten Weinkeller Deutschlands. Auf der Homepage des Stader Ratskellers und in öffentlichen Mitteilungen wirbt er nun damit. Kleiner Schönheitsfehler: Der Stader Weinkeller ist zwar tatsächlich älter als der in Bremen, aber auch der ist bei weitem nicht der älteste.

Noch vor wenigen Wochen warb der 1405 erbaute Bremer Ratskeller auf seiner Internetseite allerdings damit, dass er der älteste Weinkeller Deutschlands sei ist. Mittlerweile ist diese Aussage dort nicht mehr zu finden. "Ich halte nichts von derartigen Superlativen", sagt Oliver Fritz Rößler, Geschäftsführer und Pächter vom Bremer Ratskeller, nun gegenüber dem Abendblatt.

Im ältesten Stadtbuch der Hansestadt Stade taucht der Ratskeller bereits in einem Eintrag von 22. Februar 1305 auf, allerdings zunächst nur als Keller. "Ob dort zu dieser Zeit bereits Wein gelagert oder ausgeschenkt wurde, lässt sich nicht abschließend klären", sagte Stades Stadtarchivarin Christina Deggim gestern.

Explizit als Weinkeller tauchen die Kellergewölbe unter dem Stader Rathaus erstmals im Jahr 1337 in den vorhandenen Quellen auf. Von diesem Jahr an sei in Stade definitiv Wein ausgeschenkt oder gelagert, sagt Deggim.

Damit ist der Stader Weinkeller definitiv mindestens 68 Jahre älter als sein Bremer Pendant. Für Timo Tölle ein schöner Erfolg: "Als ich das alte Pergament in den Händen gehalten habe, war das schon ein komisches Gefühl."

Prompt wollte Tölle die Verantwortlichen vom Ratskeller in Bremen informieren. Das hat er auch getan. Ein Telefonanruf genügte. "Ich freue mich für den Stader Ratskeller und habe damit überhaupt kein Problem", sagt Oliver Fritz Rößler. Der Geschäftsführer und Pächter vom Bremer Ratskeller nimmt den kleinen Rückschlag sportlich und trägt es mit Humor.

Schließlich sei der Bremer Ratskeller noch immer der einzige, der in einem Weltkulturerbe integriert ist. Ansonsten hält Rößler sich mit den Superlativen zurück. Das jedoch hat Timo Tölle vom Stader Ratskeller zeitweise nicht beherzigt und bewarb den Weinkeller unter dem Historischen Rathaus als ältesten Weinkeller Deutschlands. Diese Aussage ist allerdings falsch.

So gibt es beispielsweise das Weingut der Vereinigten Hospitien in Trier. Die Ursprünge des dortigen Weinkellers reichen zurück bis ins Jahr 330.

Befindet sich in Stade vielleicht wenigstens der älteste Ratsweinkeller oder der älteste Weinkeller Norddeutschlands? Leider auch das nicht. Wie das Lübecker Stadtarchiv auf Nachfrage mitteilt, seien der Ratsweinkeller und die Kellerräume für die Weinlagerung unterhalb des Lübecker Rathauses bereits für den ersten Rathausbau von 1220 an nachweisbar.

Derartige Superlative bei historischen Gebäuden sollten also offenkundig mit Vorsicht verwendet werden. Das bestätigt auch der Historiker Dirk Brietzke, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Arbeitsstelle für hamburgische Geschichte der Universität Hamburg. Häufig sei die Datierung alter Bauwerke schwierig, weil keine Dokumente vorliegen. In diesen Fällen müsste die Datierung anhand archäologischer Funde vorgenommen werden.

Diese Datierung sei jedoch in der Regel unsicherer und ungenauer, sagt Brietzke. Dass sich in Stade der älteste Ratsweinkeller oder sogar Weinkeller Deutschlands befindet, schließt der Historiker hingegen aus. "Dieser Superlativ wird sich in der Tat nicht halten können", sagt Brietzke.

In diesem Zusammenhang verweist er zum einen auf den Lübecker Ratskeller. Zum anderen gebe es seiner Meinung nach jedoch Ratskeller in den älteren Reichsstädten in Süddeutschland, die noch älter sind als der Weinkeller unter dem Stader Rathaus. Doch der Ratskeller der kleinen Hansestadt Stade kann zumindest die beiden großen Nachbarn in Bremen und auch in Hamburg hinter sich lassen.

Das alte Hamburger Rathaus ist 842 abgebrannt, die Keller wurden dabei ebenfalls zerstört. Das heutige Hamburger Rathaus wurde ebenso wie die dazugehörigen Kellergewölbe erst 1897 eingeweiht. Auch das Stader Rathaus ist schon einmal abgebrannt, und zwar im Jahr 1659. Im Februar 1667 wurde dann mit den Arbeiten für einen Neubau angefangen. Allerdings haben die alten Kellergewölbe unter dem Gebäude das Feuer laut Stadtarchivarin überstanden.

Der Ratsweinkeller wurde bis zum Jahr 1916 als Gastwirtschaft betrieben. Nach einer Reihe von Erhaltungs- und Umbauarbeiten wurde der Ratskeller nach 1967 einschließlich des großen Kellers unter dem Nordflügel des Rathauses wieder als Gaststätte betrieben, allerdings zunächst nur provisorisch. Zwischenzeitlich wurde er nur für Feste vermietet, ehe der jetzige Pächter Hartmut Schlüter den Ratskeller am 1. Mai 2008 wiedereröffnete.