An kaum einem anderen Ort kann man besser spielen als in der Natur. Zu Besuch bei “Häuptling“ Michael Chromik und seinem Stamm.

Buxtehude. Jina trägt Federschmuck und Indianerkleid. Sie stapelt Stöcke und kleine Holzstücke aufeinander. Dann noch getrocknete braun gefärbte Blätter oben drauf. Fertig ist der Turm - oder? "Nein", sagt Jina. "Das ist eine Falle", behauptet die Fünfjährige aus Buxtehude. Ach so. Ein paar Meter weiter stemmt Simon (6) aus Buxtehude einen dicken Ast nach oben und ruft: "Guck' mal, ich habe ein Riesenschwert."

Genau darum geht es im Waldkindergarten Buxtehude. Kinder spielen nicht mit Puppen, Lego-Bausteinen oder Lastwagen, sondern mit dem, was sie im Wald vor die Nase bekommen. "Dadurch wird die Phantasie angeregt", sagen die Erzieher Michael Chromik (37) aus Buxtehude und Beatrice Schneider (34) aus Hamburg. "Die Kinder müssen sich außerdem darüber verständigen, was sie spielen möchten, weil sich das aus dem Spielzeug nicht selbst erschließt", sagt Chromik. Dadurch müssten sie stärker miteinander kommunizieren. Sprich: Ein Ast kann ein Schwert sein, aber auch ein Hexenbesen. Seit zehn Jahren existiert der Waldkindergarten Buxtehude für drei- bis sechsjährige Kinder. Morgen feiert er Geburtstag. Die Idee, einen Waldkindergarten in Buxtehude zu gründen, stammt ursprünglich von Daniela Hege-Treskatis. Ihr ist es zu verdanken, dass der erste Waldkindergarten im Neukloster Forst im Herbst 1999 mit der Gruppe "Die Waldis" entstand. Hege-Treskatis demonstrierte vor dem Rathaus, bearbeitete die Stadtverwaltung. Die Eltern nahmen das neue Angebot begeistert auf. Im Februar 2001 wurde der zweite Waldkindergarten in Buxtehude-Ottensen ins Leben gerufen - "Die Igel". Inzwischen sind weitere Gruppen entstanden. Bereits Kinder im Alter von zweieinhalb bis vier Jahren können sich nun im Wald austoben.

In dieser Woche verbringen die "Waldis" und die "Igel" gemeinsam ihre Zeit unter freiem Himmel. Ohne Wände, ohne Grenzen. Diese Woche steht unter dem Motto "Indianer". Die Kinder stecken sich Federn ins Haar, nennen sich plötzlich "Mutiger Delfin", "Versteckte Fledermaus" oder "Kleiner Fuchs".

Jetzt sitzen die Indianer am Lagerfeuer. Rauch steigt auf, so dass die Kinder ihre Augen zusammenkneifen müssen. "Mehr Suppe", rufen sie immer wieder.

Das Holz knackt unter den Flammen. Die Kleinen brabbeln, lachen und löffeln ihre Suppe. Ernsthafte Streitereien kommen nicht auf. Michael Chromik schreibt das auch dem Spiel im Freien zu. Die Kinder seien entspannter, könnten schnell weggehen, wenn sie auf etwas keine Lust mehr haben. "Und wir Erzieher sind ebenfalls entspannter, da der Lärmpegel hier draußen niedriger ist", sagt der 37-Jährige. Und da ist das vielfach angepriesene Argument, dass die Kinder durch die Stunden im Freien weniger krank würden. Chromik will das nicht überbewerten. "Aber da es keine geschlossen Räume gibt, können die Viren die Kinder nicht so schnell befallen."

Der einzigen "Raum", der im Waldkindergarten existiert, heißt "Frieda", ein umgebauter Zirkuswagen. "Frieda" ist so etwas wie ein Lager. Dort befindet sich die Werkzeugkiste, aus der sich die Kinder Pfeil und Bogen, Hammer, Säge, Schaufel und Harke mit in den Wald nehmen können. Und dann geht es los. Dann wird der Wald bearbeitet. Die Kinder sägen und hämmern, toben sich im Freien aus. Das einzige "Spielzeug", das aus "Frieda" herauszuholen ist, sind Bücher, Stifte, Papier und Bastelsachen. Zuvor aber gibt es im Waldkindergarten wie in jeder anderen herkömmlichen Kita einen Morgenkreis am so genannten Waldsofa. Die Kinder nehmen Platz um einen Kreis aus Stöcken, singen, machen Finger- oder Laufspiele.

Keine Räume, keine Zäune. Da mag es so manchen Eltern kalt den Rücken herunterlaufen, die fürchten, dass ihr Nachwuchs sich im Wald verläuft. Aber die Kinder hätten gar keinen Drang, auszubüchsen, betont Chromik. "Es gibt keine Grenzen gibt. Wogegen sollen sie da angehen?" In den vergangenen acht Jahren, in denen seine Kollegin Beatrice Schneider im Waldkindergarten arbeitet, sei nicht ein einziges Kind weggelaufen, sagt Beatrice Schneider.

Die Kinder verstecken sich lieber hinter einer Treppe aus Holz im Wald, klettern auf Bäume oder rupfen Gras.

"Für mich gibt es zum Waldkindergarten keine Alternative mehr", sagt Mareike Garbers, Vorstandsmitglied im Waldkindergarten, und Mutter zweier Söhne, die beide den Buxtehuder Waldkindergarten besuchen. "Die Natur ist einfach das beste Spielzeug."

Bei der Feier zum zehnten Geburtstag sind morgen Kinder, Erzieher und Eltern mit von der Partie. Um 10 Uhr ist der Empfang bei "Frieda". Von 15 bis 18 Uhr gibt es Lagerfeuer und Musik am Platz "Birkenhain".