Opfer der Horrornacht von Buxtehude ist nach Operation wieder zu Hause. Der jugendliche Täter ist weiterhin unbekannt

Buxtehude. Britta Wünsche ist froh. Endlich wieder zu Hause! Doch die Strapazen der vergangenen Tage sieht man ihr deutlich an. Sie ist blass im Gesicht, die Operationswunde am Hals ist sauber verbunden. Die Frau aus Buxtehude hat noch immer Schmerzen, kann sich nicht richtig bewegen, weil sonst die dünn verheilte Haut der Brandwunde reißt. Aber als Mutter einer Großfamilie muss sie sich nun einmal bewegen, muss kochen, waschen, ihre Kinder auf den Schoß heben und im Garten Ordnung halten.

Seit ein Jugendlicher ihr vor zwölf Tagen auf ihrem Grundstück mit einer Schreckschusspistole in den Hals geschossen hat und sie dabei so schwer verletzt wurde, dass sie im Elbe-Klinikum operiert werden musste, ist für die 41-Jährige nichts mehr, wie es war. "Diesen 18. April werde ich nie vergessen", sagt die Buxtehuderin. "Jetzt wo ich zur Ruhe komme, kommen die Albträume, ich höre den Knall, rieche das Pulver und spüre den brennenden Schmerz." Britta Wünsche schläft zu wenig und grübelt zu viel.

Die Buxtehuderin hatte am 18. April gegen 23.30 Uhr einen jungen Mann am Arm festgehalten, der zuvor das Auto der Familie beschädigt hatte und sich dann auf ihrem Grundstück an der Buxtehuder Reeperbahn zu schaffen machte. Noch bevor Britta Wünsches herbeieilender Ehemann eingreifen konnte, schoss der Jugendliche aus nur rund 20 Zentimeter Entfernung mit einer Schreckschusspistole direkt in den Hals der Frau. Schwarzpulver und Zündmittel verursachten eine großflächige Brandwunde, dazu erlitt die Frau ein Knalltrauma und konnte nicht mehr richtig sprechen.

Nur einen Tag nach der Tat konnte die Polizei im Umfeld des Tatortes vier Täter stellen. "Die Jugendlichen sind 15 und 16 Jahre alt", sagt Stades Polizeisprecher Herbert Kreykenbohm. Allerdings zählten sie angeblich nicht zum Kreis der üblichen Verdächtigen. "Sie sind bislang noch nicht bei der Polizei in Erscheinung getreten. Eigentlich sind es ganz normale junge Leute", sagt Kreykenbohm.

Im Wohnviertel rund um die Reeperbahn hingegen sagen Anwohner, dass mindestens einer der Randalierer polizeibekannt sein müsse. Denn die folgenschwere Randale mit Sachbeschädigungen und der Schuss aus der Schreckschusswaffe war nicht der erste Auftritt von Jugendlichen dort. Schon häufiger riefen Anwohner wegen Unruhe die Polizei. "Im Winter haben abends immer wieder Gruppen von Jugendlichen Krach gemacht, sind in die Gärten gestiegen, haben die Schneemänner unserer Kinder zerstört", sagt Anwohnerin Nadine Beckmann. Auch Spielsachen wurden vom Grundstück auf die Straßenkreuzung geschleppt. "Wir dachten immer, in dieser ruhigen Gegend passiert so was nicht, sagt die Mutter zweier Kleinkindern.

Auch Nachbarin Kristina Mattheis ist schockiert. Sie sagt: "Die Jugendlichen kommen öfter im Trupp und stören den Frieden der Anwohner. Die sind in einem Alter, in dem sie schon sehr genau wissen, was sie tun."

Rentnerin Ilse Schipulowski berichtet, dass kürzlich Jugendliche auf ihrem Gartenzaun gesessen haben, sich betranken und lärmten: "Sie haben Langeweile, ziehen durch die Straßen, schlitzen die Gelben Säcke auf und stören die Nachtruhe." Eine weitere Anwohnerin, Mutter von zwei Kindern, sagt: "Meist in den Ferien sind die Jugendlichen auf Randaletour. Es wurde schon öfter die Polizei gerufen. Diesmal ist nun was passiert. Das tut mir sehr leid für meine Nachbarin."

Dass ein 15 oder 16 Jahre alter Junge mit einer solchen Waffe eiskalt abgedrückt hat, kann Britta Wünsche, deren ältere Kinder im selben Alter sind, nicht fassen. "Ich würde als Mutter reagieren, wenn meine Kinder solchen Bockmist machen, und wenn so eine Dummheit passiert ist, würde ich meinem Kind raten, sich wenigstens zu entschuldigen", sagt Wünsche.

Dazu fehlt den Tätern aber offensichtlich der Mut. "Die gestellten Jugendlichen haben die Sachbeschädigungen an den Autos und anderem Eigentum von Anwohnern der Reeperbahn gestanden", sagt Kreykenbohm. "Zum Schuss ermitteln wir noch." Diese erhebliche Körperverletzung sei keine Bagatelle und werde strafrechtlich verfolgt, sobald die polizeilichen Ermittlungen abgeschlossen sind, so Kreykenbohm. "Ein paar Zentimeter höher, und die Frau hätte das Augenlicht verlieren können", sagt der Polizeibeamte.

Nach seinen Angaben ist eine derart brutale Attacke im Landkreis Stade bis dato noch nie vorgekommen. Es sei nicht üblich, dass Jugendliche mit Schreckschusswaffen auf Tour gehen, sagt auch Hans-Jürgen Detje vom Präventionsteam der Stader Polizei. Klaus Albrecht, der in diesem Präventionsteam für Schüler zuständig ist, bestätigt dies: "Schusswaffen sind bei Minderjährigen absolute Ausnahme. Spring- oder Butterfly-Messer, Schlagringe oder Baseballschläger werden eher mitgeführt, vorgeblich, um sich verteidigen zu können."

Dennoch, so Albrecht, seien laut Statistik die von Jugendlichen begangenen Raubdelikte und Körperverletzungen seit 2006 kontinuierlich rückläufig. "In Einzelfällen hat die Brutalität zugenommen, etwa dann, wenn auf wehrlose Opfer am Boden noch eingetreten und geprügelt wird", sagt Albrecht. Zudem spiele Alkohol bei Angriffen, auch auf einschreitende Polizeibeamte, eine zunehmende Rolle.

Christian Pfeiffer, der Direktor des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, bestätigt die Beobachtungen der Polizei: "Schlimme Einzelfälle, wie jüngst in der Berliner U-Bahn, sind große Ausnahmen. In solch gefährlichen Situationen sollte man nie auf eigene Faust eingreifen, jeden Körperkontakt mit aggressiven Tätern meiden und die Polizei alarmieren."

Pfeiffer sagt, er sehe die Ursachen für die Gewalt von Jugendlichen überwiegend bei deren Eltern. "Elterliche Gewalt erzeugt bei Kindern Gewaltbereitschaft. Eltern sollten ihre Kinder liebevoll erziehen und in ihnen Lust auf das Leben wecken", sagt der Kriminologe. Hinzu komme, dass die Gleichgültigkeit der Eltern die wichtigste Ursache dafür sei, dass die schulischen Leistungen zu vieler Jugendlicher im Keller seien und sie keine sinnvollen Interessen mehr haben.