Oldendorfs Bürgermeister Johann Schlichtmann kennt nicht nur die Opfer, sondern auch einen der Täter des Raubüberfalls

Oldendorf. Oldendorfs Bürgermeister Johann Schlichtmann schüttelt ungläubig den Kopf. Er kann es noch immer nicht fassen. Dass er sich offenbar so in einem Menschen getäuscht hat. Vor vier Jahren hatte er dem Langzeitarbeitslosen Alexander V. eine Beschäftigung bei der Gemeinde Oldendorf verschafft. Am vergangenen Sonnabend wurde Alexander V. von einem Sondereinsatzkommando der Polizei in seiner Wohnung in Oldendorf festgenommen. Er soll ein Helfer des schweren Raubüberfalls im Dezember vergangenen Jahres gewesen sein, bei dem der Oldendorfer Unternehmer Gerd H. ums Leben kam und seine Frau schwer verletzt wurde. Im Abendblatt spricht Oldendorfs Bürgermeister Johann Schlichtmann über den Menschen Alexander V., die Integrationsarbeit in seiner Gemeinde und die Erleichterung der Bürger, die nach dem grausamen Raubüberfall in der in Angst lebten.

Hamburger Abendblatt:

Herr Schlichtmann, die Stader Polizei hat die Täter des Raubüberfalls in Oldendorf ermittelt. Sind Sie erleichtert?

Johann Schlichtmann:

Es ist schon eine große Erleichterung für mich persönlich, aber auch für viele Oldendorfer. Jetzt haben endlich auch die vielen Spekulationen ein Ende, die dem Opfer und seiner Familie nicht gerecht wurden. Außerdem haben wir in Oldendorf in den vergangenen Monaten in Angst gelebt.

Abendblatt:

Was meinen Sie damit?

Schlichtmann:

Die Täter kannten sich in Oldendorf offenbar gut aus, sie wussten, dass bei ihrem Opfer Geld zu holen war. Irgendwann ist das Geld aus dem Überfall alle. Viele Oldendorfer und auch ich haben sich gefragt, wer der nächste sein könnte aus unserer Gesellschaft. Die Menschen und auch ich hatten Angst.

Abendblatt:

Wie hat sich diese Angst denn geäußert?

Schlichtmann:

Die Oldendorfer haben plötzlich ihre Türen abgeschlossen, haben ihre Fenster verriegelt. Sie haben die Rollläden runtergelassen und sich von Fachleuten der Kriminalprävention der Polizei beraten lassen. Das alles war über Jahre und Jahrzehnte kaum ein Thema. Menschen haben Türen aufgelassen, Kellertüren wurden nicht abgeschlossen. Das hatte sich aber nach dem 11. Dezember 2010 alles verändert.

Abendblatt:

Jetzt sind zwei mutmaßliche Täter gefasst. Einer der beiden ist Ihnen gut bekannt. Woher kennen sie Alexander V.?

Schlichtmann:

Im Jahr 2007 hatte man mir als Ratsherr der Gemeinde Oldendorf gesagt, es suche jemand aus Oldendorf Arbeit, dann habe ich mich darum bemüht. Zuerst habe ich im örtlichen Sportverein TuS Oldendorf geguckt. Dort war er dann als Platzwart beschäftigt. Parallel habe ich mich mit dem Arbeitsamt in Verbindung gesetzt und prüfen lassen, ob es nicht eine Fördermöglichkeit gibt, um den Langzeitarbeitslosen Alexander V. zu beschäftigen. Es ergab sich dann die Möglichkeit, ihn für zwei Jahre als Gemeindearbeiter bei der Gemeinde Oldendorf zu beschäftigen. Ziel war es, ihn für den ersten Arbeitsmarkt fit zu machen. Das hat ja auch geklappt. Er fand einen Arbeitsplatz in einer Kraftfahrzeugwerkstatt hier bei uns in Oldendorf.

Abendblatt:

Aber er hat nicht alle Ziele erreicht, die Sie vorher mit ihm gemeinsam gesetzt hatten.

Schlichtmann:

Nein, leider nicht. Ein Ziel war es, dass er seinen Führerschein zurückbekommt, den er wegen Alkoholkonsums verloren hatte. Er musste zur Medizinisch-Psychologischen Untersuchung. Dort hat man festgestellt, dass er immer wieder Alkohol trank. Es war vielleicht nicht viel. Aber wenn jemand den Führerschein wiederhaben will, dann muss er vollkommen trocken sein, er darf keinen Schluck Alkohol mehr trinken. Das musste er nachweisen, was er leider in zwei Jahren nicht geschafft hat.

Abendblatt:

Jetzt wird Alexander V. Beihilfe zu Raub mit Todesfolge vorgeworfen. Sind sie auch persönlich enttäuscht?

Schlichtmann:

Natürlich bin ich enttäuscht, wenn ich jetzt höre, dass er eventuell an der Tat beteiligt war. Die Enttäuschung kann man gar nicht in Worte fassen. Ich denke da aber auch an Menschen mit einem ähnlichen Hintergrund wie Alexander V.

Wir haben in Oldendorf etwa 140 Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, die in meinen Augen zu großen Teilen sehr gut integriert sind, mit denen ich auch ein sehr gutes Verhältnis pflege. Ich denke, diese Menschen sind vielleicht noch mehr enttäuscht als ich. Die Menschen, die sich gut in die Gemeinde eingefunden haben, sind über diese Entwicklung nicht erfreut.

Abendblatt:

Wie haben Sie selbst Alexander V. erlebt?

Schlichtmann:

Es war immer ein sehr nettes und freundschaftliches Verhältnis, er war sehr hilfsbereit. Ich habe auch von anderen Oldendorfern gehört, dass er sehr beliebt war. Ich habe auch nie ein böses Wort von ihm gehört und eigentlich geglaubt, dass wir ihn in unsere Oldendorfer Gemeinschaft sehr gut integriert hatten.

Abendblatt:

Wussten Sie, dass er in der Vergangenheit mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist?

Schlichtmann:

Mir war bekannt, dass er in jungen Jahren Fehler gemacht hat. Aber Fehler kann man verzeihen. Gerade in jungen Jahren macht man vielleicht Dinge, die man auch bereut. Ich habe den Menschen Alexander V. kennengelernt und gesagt, diesem Menschen gibst du eine Chance. Das lohnt sich. Er sollte wieder in die Gesellschaft integriert werden.

Abendblatt:

Ändert sich nun Ihre Einstellung für die Zukunft?

Schlichtmann:

Nein. Ich habe mich persönlich immer für Integration eingesetzt, hab immer wieder den Kontakt gesucht zu den Menschen aus der ehemaligen Sowjetunion, ich bin auch in der Integrationskonferenz des Landkreises Stade tätig gewesen. Ich bin zurzeit sehr enttäuscht, aber ich werde weitermachen. Es gibt zur Integration keine Alternative. Ich musste aber lernen, dass es dabei auch immer wieder Rückschläge gibt.

Abendblatt:

Das heißt, es war auch ein Rückschlag für Sie persönlich?

Schlichtmann:

Ja, ich kenne meine Bevölkerung, ich kenne einige Menschen, die jetzt sicherlich sagen: "Siehst du, wir hatten immer recht und nicht du. Genau das, was wir dir immer gesagt haben, ist jetzt eingetreten." Das verbittert mich ein bisschen.

Abendblatt:

Wie werden Sie der Witwe des Opfers, Monika H., künftig mit dem Wissen begegnen, dass Sie einen möglichen Täter unterstützt haben?

Schlichtmann:

Ich habe Monika vor 14 Tagen zuletzt getroffen. Wir haben ein sehr freundschaftliches und gute Verhältnis und sie war sehr zugänglich. Ich denke, wir können auch über dieses Thema jetzt sehr offen und ehrlich reden. Ich denke, sie wird mir in keinster Weise einen Vorwurf machen, dass ich diesen Menschen gefördert habe, versucht habe, ihn in die Gesellschaft zu integrieren.

Abendblatt:

Sie sind Polizeibeamter. Waren Sie auch beruflich in den Fall eingebunden?

Schlichtmann:

Am ersten Tag nach dem Verbrechen habe ich mit der Polizeistation vor Ort zusammengearbeitet. Dann habe ich aber selber gesagt, dass ich als Bürgermeister der Gemeinde Oldendorf zu nah an den Menschen dran bin und nicht in der Mordkommission mitarbeiten möchte.