Bützfleth gibt es jetzt 900 Jahre. Für die Bewohner in Grund zum Feiern.

Bützfleth. "In Bützfleth wird es nie langweilig", sagt Ortsbürgermeister Wolfgang Rust. Was schon zu normalen Zeiten Gültigkeit hat, stimmt erst recht 2010. Schließlich feiert die heutige Stader Ortschaft mit ihren 4600 Einwohnern jetzt ihr 900-jähriges Bestehen. Bützfleth liegt im südlichsten Teil des Kehdinger Landes und ist landschaftlich bestimmt von Marsch und Moor.

Mit einer "Höhenlage" zwischen 1,8 Meter über und 1,6 Meter unter dem Meeresspiegel ist Bützfleth sogar einer der am tiefsten gelegenen Orte Deutschlands. Waren in früheren Zeiten Landwirtschaft und Obstanbau bestimmend, so prägen heute die Großindustrie und der Tiefwasserhafen die örtliche Wirtschaft.

Wegen der verkehrsgünstigen Lage an der Elbe gibt es hier im 21. Jahrhundert den drittgrößten Hafen Niedersachsens, aus dem gleichen Grund war die Gegend des heutigen Bützfleth schon in frühen Zeiten besiedelt. Dies belegen Funde aus der Jungsteinzeit - eine Hacke aus Hirschgeweih ist etwa 5000 Jahre alt. Aus der Bronzezeit sind ein Arm- und ein Fingerring erhalten, die beim Torfabbau gefunden wurden.

Münzfunde aus der römischen Kaiserzeit sind ein Indiz für weit reichende Handelsbeziehungen. Etwa ab der Zeitenwende gab es hier einen bedeutenden Siedlungs- und Bestattungsplatz - das heutige Bützfleth war ein zentraler Ort in der Region, die Häuser verfügten schon über einen Wohn- und einen Stallteil. Erhalten sind Keramikscherben aus dem Alltag der Menschen und farbige Glasperlen und Bronzeringe, die als Grabbeigaben dienten.

Weshalb die Gegend vom Jahr 500 bis ins zwölfte Jahrhundert unbesiedelt war, ist nicht bekannt. Doch dann geht die Geschichte weiter, und eines der ersten Gebäude ist natürlich die aus Feldsteinen gebaute Kirche, die die Ursprünge der heutigen St.-Nicolai-Kirche bildet.

Den Zugang auf dem Wasserweg nach Hamburg sichern sollte die preußische Festung Grauerort, die ab 1869 errichtet wurde und die heute zu den wichtigsten Attraktionen Bützfleths gehört. Als das Fort 1879 fertig war, verfügte es über die modernsten Geschütze der damaligen Kriegsmarine. Im ersten Weltkrieg diente Grauerort als Seeminendepot - nach dem zweiten Weltkrieg sollte hier sogar eine "Kuranlage" entstehen mit Platz für 500 Dauergäste und 2000 Kurzbesucher. Aus diesen Plänen wurde nichts, das alte Gemäuer verfiel zusehends, bis sich 1997 ein Förderverein bildete, der mit viel ehrenamtlichem Engagement das Preußenfort zu einer der spektakulärsten Locations an der Unterelbe für Feiern, Trauungen, Musikveranstaltungen, Märkte und Erlebnisgastronomie machte.

Als Reaktion auf die schlechten Verkehrsverhältnisse im damaligen Kehdinger Land war 1899 die Kehdinger Kreisbahn in Betrieb genommen worden. Sie fuhr auf Schmalspurgleisen 50 Kilometer weit von Stade nach Itzwörden und erreichte dabei 25 Stundenkilometer Höchstgeschwindigkeit. Eine Fahrt von Stade nach Bützfleth dauerte 30 Minuten und kostete 30 Pfennig. Die zunehmende Motorisierung auf der Straße und der teure Betrieb der Bahn brachten bald das Ende - 1934 für den Personen- und 1936 für den Güterverkehr.

Während Bützfleth im zweiten Weltkrieg von Bomben verschont blieb, waren die Folgen des Krieges dennoch unübersehbar: Ausgebombte aus Hamburg und Flüchtlinge aus dem Osten kamen her, viele fanden hier ihre neue Heimat. Die Nachkriegszeit brachte dann eine wirtschaftliche Blüte. Zeitweilig gab es elf Schneider in Bützfleth, fünf Schuhmacher, vier Friseure, ein rundes Dutzend Fuhrunternehmer, zehn bis zwölf Gaststuben und sogar ein Kino. Den Bewohnern der zu Bützfleth gehörenden Moorgebiete lieferte Werner Rancke ab 1956 mit Pferd "Hans" und Wagen Brot - die Wege waren oft so schlecht, dass er das letzte Stück zu Fuß gehen musste, ab 1959 gab es dann für ihn endlich einen motorisierten Lieferwagen.

Im gleichen Jahr bekam der Schützenverein Bützfleth ein ungewöhnliches Zuhause: Das ehemalige Ausflugslokal "Klein Helgoland" wurde vom Anleger in Grauerort abgebaut und in die Ortsmitte versetzt. Zuvor war "Klein Helgoland" ein beliebtes Ausflugsziel der Hamburger in der Nachkriegszeit gewesen. Sechs Mark kostete die Fahrt mit dem HADAG-Dampfer einschließlich Kaffeegedeck. Immer mal wieder wird heute darüber nachgedacht, die alte Verladebrücke der Festung Grauerort wieder touristisch zu nutzen - mit einem Schiffsanleger als Attraktion an der Unterelbe und mit dem Gefühl, als säßen die Gäste mitten auf dem Fluss, der auch Bützfleth nicht immer Gutes brachte.

Acht Deichbrüche und schwere Schäden verzeichneten die Helfer bei der Sturmflut 1962 - für die Bützflether Feuerwehr war dies der größte Einsatz ihrer Geschichte. Mit hohem Einsatz aller Hilfskräfte und der Bevölkerung ließen sich vergleichbar schwere Schäden bei der nächsten großen Sturmflut 1978 verhindern.

Die Weichen für den Industriestandort Bützfleth wurden 1968 gestellt, als das Land Niedersachsen das Vordeichgelände zur Ansiedlung von Großindustrie ausschrieb. Zahlreiche Firmen beteiligten sich an der Ausschreibung, den Zuschlag erhielten drei Unternehmen mit energieaufwändiger Produktion: Dow Chemical, Aluminium Oxid Stade (AOS) und die Aluminiumhütte VAW Elbewerk.

Undenkbar wäre die leistungsfähige Industrie ohne den modernen Hafen, der 1972 in Betrieb genommen wurde. Nach dem Rekordjahr 2007 mit einem Gesamtumschlag von 6,5 Millionen Tonnen ging es zunächst bergab. Wegen der weltweiten Rezession ging das Ergebnis im Jahr 2009 auf 5,2 Millionen Tonnen zurück. Inzwischen ist eine Erholung spürbar, für 2010 geht der Trend wieder nach oben. Anlaufstelle für die Schiffsbesatzungen aus aller Welt ist seit 1986 der "Seemannsclub Oase" der Deutschen Seemannsmission. Jährlich besuchen 4000 Seeleute aus 40 Nationen diese internationale Freizeit- und Begegnungsstätte.

Die Industrieansiedlungen und der Hafen werden von den meisten Bützflethern noch als positiv angesehen. Doch das Jahr 1972 markiert auch eine Zäsur, die den Bewohnern bis heute zu schaffen macht: Der Verlust ihrer Eigenständigkeit. Im Zuge einer Verwaltungs- und Gebietsreform des Landes Niedersachsen wurde Bützfleth in die Stadt Stade eingemeindet.

Zuvor hatte eine Einwohnerbefragung über ein "Verbleiben im Kehdinger Raum" stattgefunden. Daran nahmen 1953 Bürger teil, mehr als drei Viertel aller Wahlberechtigten. Von ihnen sprachen sich sensationelle 98,3 Prozent für ein selbstständiges Bützfleth aus - und wenn das schon nicht möglich wäre, dann zumindest sollte Bützfleth sich nach dem Willen von 96 Prozent mit Drochtersen und Assel zu einer neuen Gemeinde "Südkehdingen" zusammenschließen. Das nützte aber alles nichts - am 20. Juni 1972 wurde auf Verlangen des Landes der Gebietsänderungsvertrag unterzeichnet. Für viele Bützflether ist der Zusammenschluss seitdem eine "Zwangsehe".

Für Stade bedeutete die Eingemeindung, dass mit den Einnahmen aus der Industrieansiedlung auf Bützflether Boden die eigene Altstadt saniert werden konnte. Immerhin profitierte auch die ehemals unabhängige Gemeinde: So gehörte ein Freibad zu den Gegenleistungen, die die Bützflether aushandeln konnten. 1979 wurde das Bad fertig gestellt, doch schon bald bemängelte man in Stade die hohen Kosten und liebäugelte mit einer Schließung. 2003 spitzte sich der Streit zu. Bützflether Bürger, Vereine und Politiker kämpften um ihr Bad und gründeten 2004 einen Förder-, später Trägerverein. Nach langen Verhandlungen ist seit 2006 der Trägerverein alleinverantwortlicher Betreiber des Freibades.

Zum Jubiläum wünscht Stades Bürgermeister Andreas Rieckhof der Ortschaft nun, "dass sie ihr Eigenleben behalten kann". Und Wolfgang Rust, der 67-jährige Ortsbürgermeister, der vor 40 Jahren aus Stade nach Bützfleth zog, sieht es wie die meisten seiner Bürger: "So richtig wollen die Bützflether keine Stader sein".