Kurz vor dem Blütenfest hat Rolf Lühmann die Jorker Bürger überrascht und seinen Ausstieg aus der Politik angekündigt

Jork. Das Chaos ist wieder einmal perfekt. Eine Blechlawine zwängt sich durch die Straßen, Busse versperren immer wieder den Weg, öffnen die Türen, aus denen hunderte von Menschen herauspurzeln, während Autofahrer verzweifelt um einen Parkplatz kämpfen. Es ist das Wochenende, an dem die Gemeinde Jork traditionell aus allen Nähten platzt. Das Wochenende, an dem mehr Touristen als Einheimische in dem beschaulichen Ort im Alten Land sind. Es ist Blütenfest. Die neue Königin wird gekrönt. Und Bürgermeister Rolf Lühmann sagt dieses Mal der Politik adieu - noch nicht sofort, aber bald. Kurz vor der Feier hat der Mann, der von Bürgern zuweilen liebevoll als "Bussi Bär" bezeichnet wird, überraschend angekündigt, nicht nochmals für sein Amt zu kandidieren.

Der Jorker Bürgermeister wird mit großem Applaus empfangen

Rolf Lühmann steht gut gelaunt hinter der Festbühne nahe dem Rathaus. Er hat sich für die Krönungszeremonie die silberne Amtskette umgehängt, so wie all die Jahre zuvor auch. Er wird auf die Bühne schreiten, so wie all die Jahre zuvor auch. Und er wird die neue Königin beglückwünschen, so wie all die Jahre zuvor auch. Es ist Routine. Als Lühmann im Jahr 2004 Bürgermeister wurde, da dachte er, dass er zu siebzig Prozent in der Verwaltung arbeiten und zu 30 Prozent repräsentative Aufgaben wahrnehmen werde. Es kam genau anders herum.

Vor Lühmann tanzt die Altländer Trachtengruppe, dann wird die bisherige Blütenkönigin Rebecca Rieper auf der Bühne feierlich verabschiedet. Es regnet Sturzbäche, die Feier droht regelrecht ins Wasser zu fallen. Lühmann macht gute Miene zum schlechten Wetter, schreitet auf die Bühne und wird mit großem Applaus empfangen. Die Zeremonie verläuft planmäßig. Und siehe da: Der Regen hört auf. Meike Tilsner, die neue Blütenkönigin des Alten Landes erscheint im Prunkgewand auf der Bühne. Dann wird ihr die Kette der Königin umgehängt. Die 23-jährige Jura-Studentin bekommt Glückwünsche, wird mit Geschenken überhäuft.

Rolf Lühmann hat seinen Job gemacht. Wie viele Jahre zuvor auch. Nun nimmt er die Amtskette ab, setzt sich eine Mütze auf und kümmert sich um seine neue Zukunft, den Tourismus. Dort will er sich beruflich engagieren. "Ich werde das alles nicht vermissen", sagt Lühmann. "Schließlich werde ich zukünftig auch damit zu tun haben, nur von der anderen Seite her."

Lühmann schnappt sich ein paar Kartons mit Werbematerial und bringt sie durch die Menschenmenge zu einem Informationsstand. Unterwegs hier und dort ein freundliches Hallo, Händeschütteln. Lühmann ist beliebt im Ort. Umso schwerer kann man sich in Jork vorstellen, dass er sein Amt im Jahr 2011 abgeben wird.

"Auch wenn viele zunächst überrascht waren, können sie meinen Entschluss doch nachvollziehen", sagt der Bürgermeister. Er streite leidenschaftlich gerne über Sachthemen. Doch bei den Sachthemen ist es zuletzt nicht immer geblieben. Harte Worte musste er sich in den vergangenen Monaten anhören, mehr als einmal wurde ein Streit von der sachlichen auf die persönliche Ebene gelenkt. Früher, da hatte es ihn wenig gekümmert, wenn er im Rat oder im Ausschuss persönlich angefahren wurde. "Ich bin aber dünnhäutiger geworden", sagt Lühmann. Irgendwo gebe es eine Grenze des Erträglichen. Die sei nun einfach erreicht.

Der Pastor und der Bürgermeister sind wie Don Camillo und Peppone

Ein Kamerateam wartet auf den Bürgermeister am Rathaus. Drei Studenten drehen einen Film über die Wollhandkrabbe und die Region ihres Lebensraumes. Dazu zählt auch das Alte Land. "Ich erzähle denen gleich etwas über das Alte Land", sagt Lühmann. Nach einer kurzen, aber freundlichen Begrüßung geht es gemeinsam zum Kaffeetrinken und Kuchenessen. Lühmann lenkt die Gruppe zielsicher durch die Menschenmenge, hinüber zur Kirche. Pastor Hans-Heinrich Tegtmeyer steht dort im Freien, zwei Kaffeekannen in der Hand. Lühmann und das Kamerateam machen es sich am Tisch bequem, während der Pastor für Kuchen sorgt. Der Pastor und der Bürgermeister, eine Geschichte für sich. Sie waren nicht immer einer Meinung, sie haben sich aber immer gegenseitig respektiert. "Wir werden im Ort gerne auch als Don Camillo und Peppone bezeichnet", sagt Tegtmeyer und lacht. "Das passt aber nicht, ich bin gar nicht Kommunist", sagt Lühmann, schiebt seine Mütze in den Nacken und grinst.

Das Mobiltelefon klingelt. Frank Deppe von der Werbegemeinschaft ist am Apparat. Der Festumzug beginnt gleich. Kaffee austrinken, rüber zum Rathaus. Lühmann lenkt das Kamerateam wieder zielsicher durch die Menschenmassen und grüßt die Bürger. Im Rathaus geht es in das Obergeschoss. Lühmann macht die Fenster auf, der Blick auf die Festmeile ist frei.

Das Kamerateam positioniert sich, filmt Lühmann, der vom Fenster aus dem Festumzug zuwinkt, der vor dem Rathaus mit Pauken und Trompeten vorbeizieht. "Da ist die neue Blütenkönigin", sagt er und winkt hinunter. Das Kamerateam nimmt die Szene auf. Eine knappe halbe Stunde später ist alles vorbei. Die Studenten packen Kamera, Mikrofon und Stativ zusammen, verabschieden sich. Lühmann bleibt noch, schaut zum Fenster heraus. Die Sonne scheint kräftig. Es ist doch noch ein schönes Blütenfest geworden.

Frank Deppe kommt herein. "Alles klar?" fragt er. "Alles prima," sagt der Bürgermeister. Die beiden tauschen sich über den Tag aus und sind zufrieden. "Es sind bestimmt wieder so 18 000 bis 20 000, die beim Blütenfest diesmal dabei waren", sagt Deppe. Die Menschen sind glücklich, die neue Blütenkönigin hat ihren ersten Auftritt mit Bravour bestanden. Die Touristen waren zufrieden. "Und nun?", fragt Lühmann. "Wie wäre es mit einem Bier zum Abschluss?", fragt Deppe. Das klingt gut. Lühmann macht das Fenster zu und verlässt gut gelaunt das Rathaus. So wie all die Jahre zuvor auch.